© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Sozial geächtet
Meinungsfreiheit: Der linksgrüne Korridor des Sagbaren wird immer enger gesteckt
Boris Reitschuster

Ausgerechnet ein alter Witz aus der Sowjetunion bringt den Zustand der Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik auf den Punkt: Staats- und Parteichef Leonid Breschnew besucht US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus und wundert sich über die Demonstranten davor, auf deren Spruchbändern steht: „Reagan ist ein Idiot!“ Der US-Präsident erklärt ihm: „Das ist wahre Meinungsfreiheit und genau das, was bei ihnen in der Sowjetunion fehlt!“ Breschnew ist aufrichtig empört: „Was für eine böswillige Unterstellung! Jeder darf in der Sowjetunion mit einem Plakat auf die Straße gehen, auf dem steht, daß Sie ein Idiot sind.“

Viele Politiker und Journalisten im Deutschland des Jahres 2020 denken wie Breschnew in diesem Witz. Weil sie selbst stramm auf der Linie des linksgrünen Zeitgeists liegen, haben sie keine Probleme mit der gegebenen Meinungsfreiheit. Auch in der DDR durften Sozialisten ihre Begeisterung für den Sozialismus der SED frei ausdrücken. Aber wehe, eine Meinung weicht von dem ab, was man damals „Klassenstandpunkt“ nannte. Dann droht Ungemach. Das müssen jüngst wieder unterschiedlichste Menschen erfahren, die aus dem immer enger gesteckten linksgrünen Meinungskorridor ausbrechen – etwa die Kabarettistin Lisa Eckhart.

Sie sollte im September nicht beim Literaturfestival „Harbour Front“ in Hamburg auftreten dürfen. Grund: Die Veranstalter sorgten sich, daß ein linksradikaler Mob die Veranstaltung sprengen könnte. Das Vergehen der 27jährigen Österreicherin: Sie macht noch Kabarett, das aneckt, statt den Zeitgeist zu bedienen wie etwa Jan Böhmermann vom ZDF. Zuvor traf die Wut des linken Mobs Eckharts Kollegen Dieter Nuhr. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) löschte nach Protesten geradezu panisch einen Text von ihm zum Thema Wissenschaft, den sie zuvor bei ihm bestellt hatte. Der Basketball-Nationalspieler Joshiko Saibou verlor seinen Job und damit wohl auch seine wirtschaftliche Existenz, nur weil er auf der großen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 1. August teilnahm und denunziert wurde. Sein Bundesliga-Verein, die Telekom Baskets Bonn, entließ ihn und warf ihm vor, die Gesundheit der Mannschaft gefährdet zu haben.

Ganz anders Fußball-Nationalspieler Benjamin Henrichs. Der hatte am 6. Juni mit heruntergezogenem Mundschutz an einer „Black Lives Matter“-Demonstration teilgenommen, auf der die Mindestabstände ebenfalls mißachtet wurden. Im Gegensatz zu Saibou wurde er jedoch nicht gefeuert, sondern gefeiert und als Vorbild gepriesen – unter anderem im „Aktuellen Sportstudio“ von ZDF-Journalistin Dunja Hayali. Der gleichen Frau, die sich massiv über die Verstöße gegen die Hygiene-Regeln auf der Demonstration der Corona-Maßnahmen-Gegner empörte. 

Die geballte Wut des linksgrünen Establishments zog sich auch Arnold Vaatz vor, DDR-Dissident und Vize-Chef der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. In einem Gastbeitrag unter anderem auf reitschuster.de kritisierte er den Umgang mit der Corona-Demonstration in Berlin. Das Kleinreden der Teilnehmerzahl verglich er mit den Zuständen in der Endphase der DDR. Die Reaktionen waren heftig, von „Mist“ war die Rede und von einem „Abdriften“ ins Wahnhafte: Persönliche Attacken unter der Gürtellinie statt Argumentation. Wenigstens droht Vaatz kein vorzeitiges Ende seiner politischen Karriere – weil er ohnehin bald abtritt. 

Wer dagegen noch mitten im Arbeitsleben steht, muß vorsichtiger sein! Schon ein Mittagessen mit dem Falschen – etwa AfD-Chef Jörg Meuthen – brachte den Chef der Hessischen Filmförderung, Hans Joachim Mendig, 2019 um seinen Job. Anschläge auf AfD-Büros und -Politiker sind Alltag. Die Partei kann etwa in Berlin seit langem keinen Parteitag abhalten, weil niemand sich traut, einen Saal an sie zu vermieten – aus Angst vor linksextremistischer Gewalt.

Gleichzeitig stellen sich die Hohepriester des linksgrünen Zeitgeists wie etwa „Monitor“-Chef Georg Restle hin und versuchen, Menschen, die über Probleme mit der Meinungsfreiheit klagen, in eine rechtsextreme Ecke zu drängen. Restle entlarvte das völlig verzerrte linke Bild von Meinungsfreiheit, als er im Juni auf Twitter schrieb, diese sei nicht dazu da, um „jeden Mist“ zu verbreiten. Genau so sahen das wohl auch Stalin und die Nationalsozialisten. Demokratie macht eben gerade aus, daß die Meinungsfreiheit nicht da endet, wo jemand eine Meinung für „Mist“ hält.

Die linksgrünen Sittenwächter verweisen gerne darauf, jeder dürfe doch seine Meinung sagen – müsse aber eben mit den Konsequenzen leben. Als die Autorin Hengameh Yaghoobifarah angezeigt wurde, nachdem sie in einem taz-Beitrag zur Entsorgung der Polizei auf der Müllkippe aufgerufen hatte, war dieser Grundsatz plötzlich aufgehoben: Der Aufschrei von links war gewaltig. Und damit auch die Entlarvung der Doppelmoral.

Es ist ein gewaltiger Irrglaube, daß Meinungsfreiheit erst im Gefängnis endet. Sogar in vielen Diktaturen wie der DDR und UdSSR in ihrer Spätphase traf Dissidenten oft nur soziale Ächtung und wirtschaftliche Ausgrenzung. Grundpfeiler einer Demokratie ist es aber, daß Menschen für eine abweichende Meinung genau das nicht droht. Zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es: Der Protest gegen das Löschen des Nuhr-Texts war so groß, daß die DFG einknickte und ihn wieder zugänglich machte. Die Mitte der Gesellschaft kann sich erfolgreich wehren gegen die Meinungskrieger. Sie muß es nur tun!






Boris Reitschuster leitete 16 Jahre das Moskauer Büro des Nachrichtenmagazins Focus. Heute betreibt er das kritische Nachrichtenportal www.reitschuster.de.