© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Links, zwo, drei, vier
Paul Rosen

Mut ist den Sozialdemokraten nicht abzusprechen. Bei der Bundestagswahl 2017 erzielten sie mit 20,5 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis. Und Besserung ist seitdem trotz großzügigster Bedienung ihrer vermeintlichen Klientel beispielsweise mit höheren Mindestlöhnen und der Rente ab 63 nicht feststellbar. In Umfragen liegt die SPD, die vor zwei Jahrzehnten noch stärkste politische Kraft in Deutschland war, mit 15 Prozent weit abgeschlagen hinter der Union (zwischen 36 und 38 Prozent) und inzwischen auch hinter den Grünen (zwischen 16 und 21 Prozent). Trotzdem präsentierten die Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit Finanzminister Olaf Scholz einen Kanzlerkandidaten und damit ausgerechnet den Politiker, der bei der Abstimmung über den SPD-Vorsitz das Nachsehen gegen das Duo Walter-Borjans/Esken hatte.

Waren nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der Sowjetischen Besatzungszone die Kommunisten für den damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher „rotlackierte Faschisten“, ist eine Zusammenarbeit mit der umbenannten SED für die heutige Führung im Willy-Brandt-Haus kein Problem mehr. Walter-Borjans will seine Partei zur führenden Kraft in einem Regierungsbündnis machen, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellt: „Die Große Koalition ist dafür keine Grundlage.“ Und Saskia Esken schwärmt von einem progressiven Bündnis, in dem eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei „möglich und denkbar“ ist. In der Linkspartei-Führung wird der Wandel der Sozialdemokraten positiv gesehen: Gebraucht würden „soziale Mehrheiten links der Union“, erklärt zum Beispiel die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping. Allerdings komt aus der Linkspartei auch Kritik an Scholz, weil er maßgeblich an den Hartz-IV-Reformen beteiligt gewesen sei und in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister offenbar großzügig mit Banken verfahren wurde, die in den Cum/Ex-Skandal verwickelt waren.

Überraschend kommt der Schwenk nach links nicht. Es vergeht wohl keine Sitzungswoche des Bundestages, in der Sozialdemokraten in Ausschußsitzungen nicht ihre Sympathie für ein breites Bündnis jenseits der Union deutlich machen würden. In Ausschußberatungen verläuft das etwa so: Von Linken oder Grünen kommt ein Antrag zur Einführung einer Vermögensabgabe für Reiche auf die Tagesordnung. Sofort erklären die Vertreter der SPD, sie seien eigentlich auch dafür, könnten aber wegen der Koalitionsdisziplin nicht für den Antrag stimmen. Denn würde ein Koalitionspartner sich für einen Oppositionsantrag aussprechen, wäre das Regierungsbündnis sofort am Ende. Das will die SPD nicht, jedenfalls noch nicht.

Mit Scholz als Kanzlerkandidat versucht die Parteiführung, ihr geschrumpftes Spektrum zu verbreitern. Der Hamburger soll bürgerliche Wähler ansprechen und ihnen suggerieren, es werde mit den Grünen und gegebenenfalls den Dunkelroten schon nicht so schlimm werden. Ob dies funktioniert, bleibt fraglich. Am Ende könnte ein Durchmarsch der Grünen mit der SPD als Juniorpartner stehen.