© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

„Start in eine neue Ära“
Schlechte Quartalszahlen: Deutschlands Autobauer bleiben trotz Corona-Krise gedämpft optimistisch
Paul Leonhard

Freie Fahrt für freie Bürger – das fordert der ADAC anläßlich der Ölkrise 1974 und 15 Jahre später die Leipziger Montagsdemonstrationen. Heute in Corona-Zeiten ermöglicht das eigene Auto, maskenfrei, angenehm, unabhängig und sicher von A nach B zu gelangen. 14 Prozent planen, ein Auto zu kaufen, weitere sieben Prozent hätten den Kauf nur wegen der Pandemie zurückgestellt, das berichtete die Süddeutsche Zeitung im April.

Im Juli wurden 314.938 Autos neu zugelassen. Das sind 5,4 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, damit hat sich der Rückgang, der im Juni bei einem Drittel lag, spürbar verlangsamt. Wer Geld hat, nutzt den Mehrwertsteuerrabatt und die höheren Kaufprämien für Hybrid- und E-Autos: 52.488 bzw. 16.798 Neuwagen wurden in den beiden Alternativsegmenten neu angemeldet. Bei Wohnmobilen gab es einen Boom: Die Zahl der Neuzulassungen stieg im Vergleich zu Juli 2019 um 94,7 Prozent.

Aber es droht eine Angebotsschwemme auf dem globalen Gebrauchtwagenmarkt, weil insbesondere in den USA viele arbeitslose Käufer ihre Raten nicht mehr stemmen können. Der Autovermieter Hertz mußte im Mai in den USA und Kanada Insolvenz anmelden und einen Teil seiner Flotte verkaufen. Der deutsche Marktführer Sixt hat sich ein 1,5-Millarden-Euro-Kredit von der KfW gesichert, denn Urlauber blieben zu Hause, Geschäftsleute machen Homeoffice statt Dienstreisen – sprich: Die Branche darbt und braucht derzeit nicht mehr so viele neue Autos.

Kauffreude der Chinesen weckt Hoffnungen

Der Mini-Boom der E-Autos ist staatlichen Eingreifen und nicht dem wahren Kundeninteresse geschuldet. Durch Niedrigzinsen und Steuerzahler-Zuschüsse sind einige Modelle für 2020 ausverkauft, aber häufig wurden Leasingverträge geschlossen, die nach einem Jahr auslaufen. Nach Dieselskandalen, Umweltdebatten und der Pandemie geschuldetem Stillstand der Fließbänder vermeldeten VW, BMW und Daimler nun schlechte Quartalszahlen – aber das ist keine Existenzkrise. In Wolfsburg ist man wieder optimistisch gestimmt, allerdings nur dank des chinesischen Absatzmarktes, wo der Konzern traditionell 40 Prozent seiner Fahrzeuge produziert. Derzeit wird dort wieder in 32 der 33 Fabriken produziert, und VW-China-Chef Stephan Wöllenstein prognostiziert einen Absatz von 20 Millionen Neuwagen 2020, nach 21 Millionen 2019.

Insgesamt stiegen in der Volksrepublik auch dank staatlicher Subventionsprogramme die Produktionszahlen im Vergleich zum zweiten Quartal 2019 um neun Prozent auf fast sechs Millionen Pkw, während gleichzeitig die Produktionszahlen in Europa und Nordamerika um bis zu 69 Prozent einbrachen. Die Kauffreude der Chinesen weckt auch in der übrigen Welt die Hoffnung auf ein ähnliches Verhalten potentieller europäischer und US-Käufer. Glaubt man Analysten wie José Asumendi von JPMorgan oder Tom Narayan von RBC, ist der VW-Konzern trotz eines operativen Verlustes von 2,4 Milliarden Euro im zweiten Quartal – Daimler 1,7 Milliarden Euro – unter den drei großen Autoherstellern durch seine breite Produktpalette, die so gut wie jede Kundengruppe anspricht, am besten aufgestellt.

Daimler und BMW werden zwar gute Chancen bei jenen finanzstarken Kunden eingeräumt, die sich aus Angst vor Geldentwertungen ein sportliches E-Auto leisten wollen, aber hier ist mit dem E-Auto-Pionier Tesla ein ernster Konkurrent auf dem deutschen Markt aktiv. Auch wird damit gerechnet, daß neue Automarken aus Asien und Startups in Europa mitmischen wollen. Tesla-Chef Elon Musk hatte überraschend für das zweite Halbjahr trotz eines sechswöchigen Produktionsstopps seines Werks in Kalifornien einen Absatz von 90.000 Fahrzeugen und einen Gewinn von 104 Millionen Dollar verkündet. Insgesamt sollen in diesem Jahr mehr als eine halbe Million Autos verkauft werden. Erklärtes Ziel ist es, künftig auch billigere Elektroautos für den Massenmarkt zu bauen.

VW dagegen hofft, mit seinem seit 20. Juli in den Autohäusern stehenden ID.3 Musk in die Schranken zu weisen. Der Modulare E-Antriebs-Baukasten (MEB) werde den Stromern zum Durchbruch verhelfen, schwärmt VW-Vorstandschef Herbert Diess. Mehr Reichweite und günstigere Preise brächten den „Start in eine neue Ära“. Der ID.3 sei „der Auftakt für die Elektro-Aufholjagd zu Tesla“. Die Plattform sei so ausgelegt, daß sie universell für Stadtautos, Mini-Vans oder SUV einsetzbar sei und auch an Dritte – gemeint ist wohl Ford – verkauft werden könne. Der Konzern will bis 2029 20 Millionen auf der MEB-Plattform basierende E-Autos verkaufen.

Schwarze Zahlen dank SUV-Modellen bei Opel

BMW-Chef Oliver Zipse zeigt sich gedämpft optimistisch, obwohl im zweiten Quartal der höchste Verlust in der Geschichte des Münchener Autoherstellers eingefahren wurde: „Wir blicken mit vorsichtiger Zuversicht auf das zweite Halbjahr.“ 2019 hatte der Konzern mit 2,5 Millionen ausgelieferten Fahrzeugen der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce einen Absatzrekord aufgestellt. Bei den subventionierten Hybrid- und E-Autos lägen die Absatzzahlen um „mehr als 50 Prozent über Vorjahr“. Operativ weist der Konzern einen Verlust von 666 Millionen Euro aus, nach einem Vorjahresgewinn von 2,2 Milliarden Euro.

Damit lag BMW unterhalb der Analysten-Prognosen, die einen Verlust von 410 Millionen Euro erwartet hatten. Gegengesteuert werden soll jetzt durch den Abbau von 6.000 Stellen und eine Kürzung geplanter Investitionen um rund ein Drittel auf unter vier Milliarden Euro. Die deutschen Daimler-Mitarbeiter haben bereits einem Lohnverzicht und kürzeren Arbeitszeiten zugestimmt. Nach Aussage von Konzernchef Ola Källenius sollen bis zu 30.000 Arbeitsplätze wegfallen, darunter viele im Management – die einst erfolgsverwöhnten Autobauer sind daher das deutsche Sorgenkind der Branche.

Opel und der britische Ableger Vauxhall, die seit 2017 zum französischen PSA-Konzern gehören, vermelden – dank der SUV Crossland und Grandland – für das erste Halbjahr sogar schwarze Zahlen: „Wir haben es geschafft, einen operativen Gewinn von 110 Millionen Euro beizusteuern“, teilte Opel-Chef Michael Lohscheller mit. Das entspreche einer Marge von zwei Prozent. Allerdings sind in dieser Bilanz mit Januar und Februar noch zwei „normale“ Verkaufsmonate enthalten, und Opel hatte im Vorjahreszeitraum rund 700 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet.

Keinen Jahresausblick wagt man beim Autozulieferer Continental. Der Dax-Konzern aus Hannover hatte zwischen April und Ende Juli einen Nettoverlust von 741,1 Millionen Euro hinnehmen müssen und setzt auf Sparen. So wurden im zweiten Quartal die Fixkosten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als 400 Millionen Euro gesenkt, auch geplante Investitionen sollen zurückgestellt werden.Offensichtlich stellt sich das Unternehmen auf eine weltweit geringere Fahrzeugproduktion ein.