© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Ein Mafioso erschüttert die Paten
Organisierte Kriminalität: „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ von Marco Bellocchio
Claus-M. Wolfschlag

Die Machenschaften krimineller Zusammenschlüsse bilden ein schier unerschöpfliches Reservoir zur filmischen Verarbeitung. Gerade die italienische Mafia berührt dabei ein nationales Trauma. Regisseur Marco Bellocchio (80) hat sich nun mit seinem neuesten Film „Il Traditore“ der Lebensgeschichte des Cosa-Nostra-Mitglieds Tommaso Buscetta angenommen.

Der Film zeichnet ein sensibles und spannend erzähltes Porträt jenes Mafioso, der als Kronzeuge der Anklage in den 1980er Jahren bekannt wurde. Auch durch Rückblenden in die Vergangenheit schafft es Bellocchio, der Persönlichkeit Buscettas sehr nahe zu kommen. Zudem wurde mit Pierfrancesco Favino ein Schauspieler engagiert, der Buscetta bereits äußerlich sehr nahe kommt.

Der Film setzt in den achtziger Jahren ein, als blutige Machtkämpfe zwischen den Paten der sizilianischen Mafia auflodern. Die enormen Einnahmen durch das Drogengeschäft haben zuvor nicht in dieser Dimension existierende Begehrlichkeiten freigesetzt. Der in Palermo geborene, früh kriminell gewordene  Tommaso Buscetta, ein hochrangiges Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra, hat sich gerade in die Heimat seiner brasilianischen Frau abgesetzt, um dort ein ruhiges Leben zu genießen. Aus der Ferne bekommt er mit, daß im Zuge der Fehde enge Vertraute und Verwandte ermordet werden. Er wird von der brasilianischen Polizei aufgespürt, verhaftet, gefoltert und nach einem mißglückten Selbstmordversuch nach Italien ausgeliefert.

Durch die Begegnung mit dem charismatischen Richter Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi), der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Mafia zu bekämpfen, beginnt Buscetta nach anfänglichem Zögern als Kronzeuge auszupacken. Er bricht die Omertà, das Schweigegebot, und wird damit nach Mafia-Lesart „Il Traditore“, der Verräter.

In der Obhut eines Zeugenschutzprogramms

Dabei hilft ihm sein Moralkodex, der auf der Begründung beruht, nicht er habe die traditionellen Prinzipien der Cosa Nostra verraten, sondern die Mörder auf der Anklagebank. Buscetta wirkt angetrieben von dem Wunsch nach Rache an den Mördern seiner Freunde und dem Kampf gegen eine Mafia, die nicht mehr ihre alten Werte vertrete. Dabei bleibt nicht völlig geklärt, ob sein Seitenwechsel auch auf einer selbstrechtfertigenden Vorstellung von Gerechtigkeit beruht oder ob seine Wandlung primär von dem Bedürfnis nach Erlösung getragen ist. Den Rest seines Lebens verbrachte er unter der Obhut des amerikanischen Zeugenschutzprogramms an verschiedenen Orten in den USA. Er starb im April 2000 in Florida mit 71 Jahren, wie stets von ihm gewünscht, eines natürlichen Todes, was als sein größter Triumph gelten könnte.

„Il Traditore“ zeigt sehr anschaulich, was passieren kann, wenn ein Rechtsstaat sich auflöst und das staatliche Gewaltmonopol von kriminellen Strukturen übernommen wird. Es bedarf dann der zähen Anstrengungen einzelner Mutiger, um eine zivilisierte Ordnung wiederherzustellen.