© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Enttäuschte Liebe
Schonungslos und realistisch: Birk Meinhardt schreibt über Journalismus und sein Mutterblatt, die „Süddeutsche Zeitung“
Boris T. Kaiser

Der Journalist Birk Meinhardt hat sich mit seinen Reportagen Medienpreise und großes Ansehen in und außerhalb der eigenen Branche erarbeitet. In letzter Zeit verzichtete der einstige Reporter der Süddeutschen Zeitung (SZ) darauf, seine gut recherchierten, realen Hintergrundgeschichten zu schreiben, und konzentrierte sich vor allem auf seine Tätigkeit als Romancier. 

Nun ist ein Buch erschienen, in dem er erzählt, warum er kein Journalist mehr sein will und warum er es bei seinem früheren Heimatblatt schon lange nicht mehr sein durfte. „Wie ich meine Zeitung verlor“, heißt das im Verlag „Das Neue Berlin“ erschienene „Jahrbuch“, das keine Abrechnung sein will und doch ein erbarmungslos entlarvendes Licht nicht nur auf die Redaktion der Süddeutschen wirft. Dort war das, was Meinhardt und seine Reportagen ausmachte, mehr und mehr unerwünscht: das Ausbrechen aus den vermeintlichen Regeln, den branchenüblichen Denkmustern und der gleichförmigen Haltung, die die Texte vieler seiner Kollegen heute so austauschbar machen.

Texte über Rechte wurden nicht veröffentlicht

Auf 144 Seiten beschreibt der zweifache Egon-Erwin-Kisch-Preisträger, was falsch läuft im gegenwärtigen Journalismus und warum das einstige Aushängeschild „seiner Zeitung“ den Rücken kehrte. Harald Martenstein nennt das Werk des literarischen Whistleblowers „die traurige Geschichte“ einer „enttäuschten Liebe“, und Meinhardt selbst schreibt: „Der Mensch verachtet nur, was oder wen er geliebt hat.“ 

Die Redaktion der SZ war für den Reporter mit DDR-Erfahrung lange Zeit „das journalistische Paradies“, wie er sagt. 

Bis er dort immer häufiger den Satz hörte, der eine Veröffentlichung seiner interessantesten, weil außergewöhnlichsten Texte im Blatt zunichte machte und ihn immer mehr frustrierte: „Dieser Artikel könnte von Rechten als Testat dafür genommen werden, daß sie ungerechtfertigterweise verfolgt würden.“ 

Ein paar dieser Artikel, die die Verantwortlichen in München nicht drucken wollten, hat der Journalist nun in seinem Buch veröffentlicht. Es sind Geschichten über Rechte, denen Straftaten vorgeworfen wurden, die sie nicht begangen haben und die medial vorverurteilt wurden, bevor sie vor Gericht freigesprochen wurden. 

Einer davon saß wegen Mordversuchs vier Jahre lang unschuldig im Gefängnis. Über die letztendlichen Freisprüche wollte kaum ein Medium, das die angeblichen Täter zuvor öffentlich gebrandmarkt hatte, berichten. Auch die Süddeutsche Zeitung nicht. Stattdessen beklagen deutsche Haltungs-Journalisten, denen der Aussteiger jede echte Haltung abspricht, in ihren Texten lieber„die Spaltung“ der Gesellschaft. Meinhardt gibt seinen ehemaligen Kollegen und ihrer einseitigen Berichterstattung eine erhebliche Mitschuld an dieser Spaltung. Diese Einschätzung ist so wie sein ganzes Buch: hoffnungslos realistisch.