© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Historiker liest Chronik großer Fluchtbewegungen nur quer
Aus der Geschichte nichts gelernt
(ob)

Was wir heute als „Migration“ erleben, werde von den Flüchtlingsströmen kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges weit in den Schatten gestellt, meint der das Phänomen ausschließlich quantitativ betrachtende Historiker Peter Gatrell (Manchester). In Europa seien damals infolge des Krieges 60 Millionen Menschen vertrieben worden, in Südostasien verloren 20 Millionen, im Fernen Osten sogar 90 Millionen ihre Heimat. Heute hingegen zähle das UN-Flüchtlingshilfswerk nur 71 Millionen „Flüchtlinge“. Für Gatrell handelt es sich dabei primär um Menschen mit „Sehnsüchten und Fähigkeiten“, hinter denen er, erstaunlich für einen Historiker, konkrete Ursachen ihrer Migration verschwinden läßt (Welt-Sichten, 4/5-2020). Darum fällt es ihm auch nicht schwer, „Lehren aus der Geschichte“ zu ziehen, und dabei etwa die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen mit der heutigen Masseneinwanderung nach Europa gleichzusetzen, um für „Umsiedlung und Integration“ zu werben. Einen der vielen fundamentalen Unterschiede erwähnt Gatrell nur beiläufig: Weder im geteilten Deutschland noch in traditionellen Einwanderungsländern wie den USA und Australien erhielten Flüchtlinge nennenswerte Sozialleistungen. Während die Magnetwirkung üppiger Alimentation heute, wo Gatrell überall „Abschreckungspolitik“ wittert, die wichtigste Fluchtursache ist. 


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