© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/20 / 14. August 2020

Linksgrüne „Märsche für die Wissenschaft“
Die „Kurzzeitaffäre Nuhr“ enthüllt die ideologische Schlagseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Daniel Lohse

Weil Denken an Sprache gebunden ist, es aber keine Universalsprache gibt, kommt Vernunft nur im Plural vor. Also ist ermitteltes Wissen nicht mehr als eine Annäherung an die, aber nie „die“ Wahrheit. Woraus folgt, daß es auch wissenschaftliche Wahrheit nur im Plural gibt. An diese Selbstverständlichkeit, daß „Wissenschaft keine Heilslehre, keine Religion“ sei, die „absolute Wahrheiten verkündet“, hat Dieter Nuhr vor drei Wochen in einem 49-Sekunden-Clip für die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) betriebene Kampagnenseite „Gemeinsam #fürdasWissen“ erinnert.

Aber er hatte hinzugefügt, wer rufe „Folgt der Wissenschaft!“, habe dies „offensichtlich nicht begriffen“. Am 31. Juli entfernte die DFG den erbetenen Beitrag, weil Nuhr sich ähnlich in der Klimadebatte geäußert habe, wo dies gegen Greta Thunberg und Luisa Neubauer zielte. Die DFG kapitulierte damit vor einem grünen „Shitstorm“, den die infantile Anhängerschaft der beiden Aktivistinnen entfesselt hatte (JF 33/20). Doch die Gegenöffentlichkeit nahm das nicht hin, am 6. August hieß es aus Bonn: „Die DFG bedauert es ausdrücklich, das Statement von Dieter Nuhr vorschnell von der Internetseite der Online-Aktion #fürdasWissen heruntergenommen zu haben.“

„Vorschnell geurteilt und verurteilt“

Nicht nur der Nuhr-Beitrag war wieder präsent, sondern die DFG schrieb weiter: „In verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft hat sich eine Debattenkultur entwickelt, in der oft nicht das sachliche und stärkere Argument zählt, in der weniger zugehört und nachgefragt, sondern immer häufiger vorschnell geurteilt und verurteilt wird.“ Und gerade bei Fragen wie dem Klimawandel oder der Coronavirus-Pandemie würden damit die „notwendige Diskussion um wissenschaftliche Themen und der konstruktive Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft behindert“.

Schließlich hatte die DFG vor nicht mal einem Jahr ihre „Zehn Thesen zur Wissenschaftsfreiheit“ proklamiert. Damit inszenierten sich die mächtigen Bonner Forschungsförderer, die alljährlich einen 3,3-Milliarden-Euro-Etat ausschütten, als Hüter der grundgesetzlich garantierten Freiheit von „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre“. Ein Engagement, das allerdings auch die klimabewegten „Märsche für die Wissenschaft“ einschloß und das im Mittelpunkt der Öffentlichkeitsarbeit des 2019 ausgeschiedenen DFG-Präsidenten, des Altgermanisten Peter Strohschneider, stand.

Auch seiner Nachfolgerin, der Gießener Biochemikerin Katja Becker, ist das ein Herzensanliegen, wie sie in ihrer Einleitung („Freiheit für die Wissenschaft!“) zum DFG-Jahresbericht 2019 beteuert. Unter den „Zehn Thesen“ deutet aber nur die fünfte ein pluralistisches Wahrheitsverständnis wenigstens an, indem sie betont, die DFG würde Mittel auch für „Forschungsgegenstände außerhalb aktueller Trends“ gewähren, um „die Vielfalt des Systems zu erhalten“.

Doch meint das nicht Konkurrenz um viele Zugänge zur Wahrheit, sondern ist als Mahnung zu lesen, Wissenschaft möge sich nicht auf anwendungsbezogene Projekte und deren „ökonomischen Nutzen“ verengen. Relevanz für den „Fall Nuhr“ hätten dann nur die neunte und zehnte These zur wissenschaftsinternen „Debattenkultur“ und zu deren Überführung in gesellschaftliche „Diskussionen“. „Offene Diskurse und Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden“ bildeten das „wesentliche Fundament der Wissenschaftsfreiheit“. Allen „Studierenden“ müsse daher „der hohe Wert einer freien wissenschaftlichen Debatte vermittelt werden“. Sie sollten lernen, sich „mit unterschiedlichen Perspektiven kritisch auseinanderzusetzen, auch mit den eigenen“.

Von „Genderstudies“ bis zum Nebelvorhersagesystem

Doch die nun im „Fall Nuhr“ zur Besinnung gekommenen DFG-Repräsentanten entstammen dem linksliberal-grünem Establishment. Und wie die geistesverwandten, nur weniger gebildeten Klimahysteriker, die vorgeben, „der“ Wissenschaft zu folgen, heißt es für sie im Zweifel auch: hier die Freunde der Wissenschaft, dort ihre Feinde, die „Populisten“. Strohschneider hat in vielen Reden seit 2015, in denen er sich emphatisch zur „Willkommenskultur“ äußerte, die mit wissenschaftlichen Argumenten von Ökonomen, Juristen, Demographen, Soziologen und Islamwissenschaftlern vorgetragene Kritik an der Masseneinwanderung stets als „populistisch“ diffamiert. Auch Präsidentin Becker kennt keine „Andersdenkenden“ mehr, sondern nur ominöse „Populisten“, nach der Devise: „Was Wissenschaft ist, bestimmen wir!“ Man verweigert einfach das Gespräch, um nicht in einen Abgrund von Irrtümern blicken zu müssen – unter den Dutzenden Kampagnen-Statements ist kein einziges von „Dissidenten“ à la Werner Patzelt, Bernd Lucke oder Ulrich Kutschera.

Von dieser Position aus ist der Respekt vor dem „Fridays for Future“-Mob so wenig verwunderlich wie die Blindheit der DFG-Funktionäre gegenüber den Akteuren der „Politischen Korrektheit“ und der „Cancel Culture“, die mit ihrer Mimikry von „Genderstudies“ bis „Kritische Weißseins-Forschung“ den Raum der Wissenschaft von innen heraus zerstören. Wobei sie sich der üppigen DFG-Alimentation sicher sein dürfen. Im stark mit „Forschungen“ zur „Geschlechterdifferenz und Geschlechterkonstruktion“, zu „Interkulturalität, Gender- und Postcolonialstudies“ gespickten Förderplan des Etats für Geistes- und Sozialwissenschaften (2019: 492 Millionen Euro) spießte kürzlich Henryk M. Broder exemplarisch ein Projekt des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung auf: „Jüdische Zuhälter, Prostituierte und Frauenrechtler im transnationalen deutschen und britischen Kontext 1875–1940“. Zeitgeistgerecht bewilligte die DFG dieses „Gender-Studies und Migrationsforschung“ verbindende Projekt über „Juden im Sexhandel“, das für Broder „antisemitisch durchtränkter Dreck“ ist.

Auch wenn etwa das Dortmunder Projekt 366.195.702 („Pendeln und Aktivitätsmuster im Genderkontext“) unter Verkehrsforschung firmiert, konzentriert sich die ideologische Schlagseite der DFG in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Förderpraxis. Die Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften bleiben davon noch unberührt – außer beim Klima­thema. Wie der Jahresbericht anhand zahlreicher Projekte dokumentiert, die Deutschlands Platz als Technologiestandort sichern sollen. Das reicht von der Entwicklung eines zuverlässigen Nebelvorhersagesystems und den Bemühungen, Unsicherheiten in den Wettervorhersagen zu minimieren, über die Verbesserung der Methoden zur Analyse und Interpretation von komplexen genomischen Krebsdaten bis zur Erprobung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz, um neurologische und psychiatrische Erkrankungen besser behandeln zu können.

DFG-Jahresbericht 2019:  www.dfg.de





Hundert Jahre Wissenschaftsförderung

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) entstand 1951 aus der 1920 gegründeten Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und dem 1949 konstituierten Forschungsrat. 69 Prozent ihres 3,3-Milliarden-Etats kommen vom Bund und 29 Prozent von den Bundesländern, nur zwei Prozent stammen aus EU- und privaten Mitteln. DFG-Präsidentin ist seit Jahresanfang Katja Becker, die an der Uni Gießen den Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie innehat. 2019 wurden 31.150 Projekte gefördert. Mit 725,4 Millionen Euro floß der Löwenanteil der DFG-Fördergelder in die Medizin, gefolgt von den Ingenieurwissenschaften (639,2 Millionen) sowie den Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften (492 Millionen) und der Biologie (394,2 Millionen). Die Physik erhielt 286,5 Millionen, die Chemie 211,6 Millionen, die Geowissenschaften 150,5 Millionen und die Mathematik 86,5 Millionen Euro. Die Agrar- und Forstwissenschaft sowie die Tiermedizin bekamen nur 46,9 Millionen Euro.

Kampagne „Gemeinsam #fürdasWissen“:  dfg2020.de