© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Ländersache: Bayern
Fischer*in, Fischer*in, wie tief ist das Wasser?
Paul Leonhard

Nichts war es am 18. Juli in Memmingen mit „Schmotz, schmotz, Dreck auf Dreck, Schellakönig, wüaschte Sau!“ Niemand schmetterte das traditionelle Lied in der bayerischen Kleinstadt. Der Fischertag, bei dem sonst Zehntausende Neugierige zuschauen, wer innerhalb von 30 Minuten die schwerste Forelle fängt und damit den Titel des „Fischerkönigs“ erwirbt, fiel wegen der Corona-Pandemie aus. Lediglich eine Gruppe Frauen sprang verbotenerweise in das kalte Wasser des Stadtbaches – um zu protestieren.

Dabei handelte es sich allerdings nicht um Unterstützerinnen von Peta und Animals United, die in den Vorjahren zu Sitzblockaden gegen das „mörderische Volksfest“ und die „tierquälerische Tradition“ des Fischerfestes aufgerufen hatten, sondern um Verfechterinnen der Gleichberechtigung, die den Memmingern Sexismus vorwerfen: Weil an dem seit 1465 stattfindenden Bachausfischen keine Fischerinnen zugelassen sind.

Allerdings dürfte bis 1930 auch die Neigung, in den als Abfluß der Kanalisation dienenden Bach zu springen, gering gewesen sein. Ursprünglich wechselten sich die Zünfte im Jahresrhythmus ab, wenn sie die Gesellen mit der Säuberung des Wassers von Gerbereiabfällen, Fäkalien und Schlachthausresten beauftragten. Diese durften zum Ausgleich für die schmutzige Arbeit den Bach leerfischen. Daß Frauen jemals in der Geschichte des Ausfischens dabei waren, hält Memmingens Stadtarchivat Christoph Engelhard für „wenig wahrscheinlich“.

Später wurde aus Abfischen und Bachbettreinigung der Fischertag und ein mehrtägiges Volksfest, dessen Höhepunkt der morgendliche Sprung von gut 1.200 mit speziellen Keschern, Bären genannt, ausgerüsteten Männern in den Stadtbach ist. Unter den Zurufen der Zuschauer bemühen sich diese, innerhalb von 30 Minuten die stattlichste Forelle einzufangen.

Daß Frauen am Kampf um den Titel „Fischerkönig“ nicht teilnehmen können, findet Vereinsmitglied Christiane Renz diskriminierend. Erfolglos hat sie 2018 und 2019 versucht, eine Satzungsänderung durchzusetzen, die auch Frauen die Möglichkeit gibt, am Fischertag ins Wasser zu jucken. Aber ihre Ideen wurden bisher immer abgeschmettert, weswegen sie den Verein mit seinen rund 4.500 Mitgliedern, was zehn Prozent der Stadtbevölkerung entspricht, auf 1.000 Euro Schadensersatz wegen Diskriminierung vor dem Amtsgericht Memmingen verklagt hat. Das Urteil soll am 31. August verkündet werden. Die Streitparteien haben bereits erkennen lassen, im Falle einer Niederlage die nächste Instanz anzurufen. Schließlich war Memmingen einmal Reichsstadt, und ihr Fischertag ist den Einheimischen heilig: „Dr Fischrdag gaut mit em Mau, durch alle Generationa, ond sott ehm je a Feind entschtau, dau schiaß mer mit Kanona!“

Laut Satzung dürfen bereits heute Frauen in den Bach springen – mit einer schriftlichen Ausnahmegenehmigung. So eine wurde aber noch nie erteilt. Wenn dann eine Frau den dicksten Fisch fangen, im Jahr darauf aber wieder ein Mann König werden würde, droht das nächste Ungemach: Denn die Tradition sieht vor, daß der Vorgänger durch einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten entthront wird. Und das in einer Kommune, die sich den Beinamen „Stadt der Menschenrechte“ gegeben hat.