© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Faust auf Faust, hart, ganz hart
AfD: Ein bizarrer Vorfall zwingt Brandenburgs Ex-Vorsitzenden zu einem weiteren Rückzug / Spannung vor Urteil des Berliner Landgerichts
Lukas Steinwandter / Christian Vollradt

Die Nachricht war ein Paukenschlag: Am Dienstag nachmittag um zwanzig Minuten nach drei meldete die Online-Redaktion der JUNGEN FREIHEIT, daß Andreas Kalbitz vom Amt des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Brandenburgischen Landtag, das er seit seinem Rauswurf aus der Partei zunächst nur hatte ruhen lassen, zurückgetreten war. Zu groß war wohl der Druck während einer langen Fraktionssitzung in Potsdam. Ausschlaggebend war offenbar, daß zur Überraschung vieler Beobachter auch enge politische Weggefährten Kalbitz’ von der Fahne gingen, etwa die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Bessin. 

Hintergrund der Entscheidung ist ein Vorfall, der am Montag zunächst als Gerücht die Runde machte und für viel Kopfschütteln sorgte. So soll Kalbitz vergangene Woche dem Parlamentarischen Geschäftsführer Dennis Hohloch bei der Begrüßung einen angeblich freundschaftlich gemeinten Schlag versetzt haben. Hohloch, der derzeit Kalbitz als Fraktionschef vertritt, begab sich anschließemd mit starken Schmerzen ins Krankenhaus, in dem ein Milzriß bei dem 31jährigen festgestellt wurde. 

Während Hohloch gegenüber der JF die Darstellung, es habe sich um einen unbeabsichtigt heftigen Boxschlag gehandelt, im wesentlichen bestätigte, kursierten in der AfD auch andere Schilderungen. Darunter von Leuten, die den Verletzten im Krankenhaus aufgesucht hatten. Demnach soll es durchaus Meinungsverschiedenheiten gegeben haben. Später hieß es, man habe Verschwiegenheit vereinbart. Unterdessen verwiesen Einträge in einer WhatsApp-Gruppe, in der auch AfD-Abgeordnete mitschreiben, unter anderem darauf, Kalbitz habe nicht zum ersten Mal einen Parteifreund geschlagen. Der Brandenburger wurde als „alkoholkranker Schläger“ und „unkontrollierbare Zeitbombe“ bezeichnet. Es sei „nichts Ehrenhaftes“, so jemanden zu decken. „Das politische Leben von AK ist zu Ende“, schlußfolgerte der Absender der Nachricht, ein Bundestagsabgeordneter. Ähnlich soll sich mindestens ein prominentes Mitglied der Fraktionsführung intern geäußert haben.

Noch weiter ging der frühere Mitarbeiter der Brandenburger Landtagsfraktion, Kai Laubach, einst ein enger Kalbitz-Vertrauter. Er erhob in einem Facebook-Eintrag schwere Vorwürfe und bezeichnete Kalbitz als „Parteikrebs“, der seinen Parteifreund beinahe „fahrlässig getötet“ habe. „Alle deine sogenannten Kameraden“ nehme Kalbitz in Mithaftung. Damit bezog er sich unter anderem auf den Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann, der – möglicherweise im Auftrag von Kalbitz – in Partei-Chats die offensichtlich unwahre Behauptung verbreitet hatte, durch den „freundschaftlichen Knuff“ von Kalbitz sei bei Hohloch lediglich eine vorher nicht bekannte Zyste „geplatzt“. 

Für Kalbitz war der schließlich am Dienstag erzwungene Rücktritt ein weiterer Rückschlag, nachdem Ende Juli das AfD-Bundesschiedsgericht die Annulierung seiner Parteimitgliedschaft durch den Bundesvorstand bestätigt hatte. Die Parteirichter schrieben in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung, die der jungen freiheit vorliegt, unter anderem, daß die von Kalbitz ins Feld geführten Erinnerungslücken hinsichtlich seiner bei Aufnahme in die AfD 2013 verschwiegenen Vormitgliedschaft bei den Republikanern „wenig glaubhaft“ seien. Außerdem hoben sie hervor: „Die Abgrenzung zu extremistischen Personen war und ist“ für die AfD „überlebenswichtig“.

Daß Kalbitz am Dienstag von seiner Position in Potsdam nun tatsächlich zurücktrat, nannte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen „im Lichte der Geschehnisse unvermeidbar“. Auch Vorstandsmitglied Alexander Wolf nannte die Entscheidung richtig und längst überfällig. „Derartiges Verhalten paßt nicht zu unserer bürgerlich-konservativen Partei“, sagte er der jungen freiheit.

Mit um so größerer Spannung blickt man nun zum Landgericht Berlin, wo an diesem Freitag über Kalbitz’ Eilantrag gegen die Annullierung seiner AfD-Mitgliedschaft verhandelt wird.