© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Anmutig, zeitlos und darum funktionell
Wider die gestapelten Schuhkartons: Wohnbauten in traditioneller Formensprache erleben eine kleine Renaissance
Claus-M. Wolfschlag

Der Stil hiesiger Neubausiedlungen ähnelt sich. Teuer im Preis und billig in der ästhetischen Ausführung. Sterile Flachdachkisten ohne anspruchsvolle Gestaltung der in Styropor gepackten Fassaden reihen sich mehr oder minder schlecht in die Stadträume integriert aneinander. Daß es auch anders geht, zeigen traditionalistisch arbeitende Architekturbüros.

Traditionalistische Projekte werden neben einer weitenteils ungebrochenen klassizistischen Baukontinuität in den USA derzeit vor allem in Osteuropa verwirklicht. Der 2010 fertiggestellte „Palast der Landwirte“ in Kasan oder die noch im Bau befindliche „Kathedrale der Erlösung des Volkes“ in Bukarest sind nur besonders monumentale Beispiele. Von kleinerer Dimension ist die in Stein wiedererrichtete russisch-orthodoxe Kirche im lettischen Ostseebad Jurmala, Ortsteil Majori (Majorenhof), die durchgehend typische Stilelemente östlicher Kirchenarchitektur verwendet. Im angelsächsischen Bereich konnten Léon Krier und Quinlan Terry in den letzten Jahren beeindruckend harmonische neu-klassische Neubauten errichten.

Der Luxemburger Léon Krier, ein ausgewiesener Kritiker modernistischer Architektur, konnte in enger Abstimmung mit Prince Charles die Ortschaft Poundbury in der englischen Grafschaft Dorset als Musterdorf traditionellen Städtebaus errichten. Auch Terry ist ein Protegé von Prince Charles. Mit dessen Unterstützung war es Terry möglich, zahlreiche Projekte im Erscheinungsbild edelster Klassik umzusetzen, darunter die 1991 geweihte Kathedrale von Brentwood im Renaissance-Stil oder die neopalladianische Maitland Robinson Library von 1993.

„Architektur, die als      wohltuend empfunden wird“

Ein sehr bekanntes deutsches Architekturbüro, das in traditioneller Sprache baut, ist Patzschke & Partner. Das Büro wurde 1968 von den Berliner Zwillingsbrüdern Jürgen und Rüdiger Patzschke gegründet. 2002 übernahm die nächste Generation das Familienunternehmen. Den Schwerpunkt bilden neben Wohnbauten auch Hotelprojekte. Das bekannteste Projekt war die 1997 erfolgte Errichtung des Berliner Kempinski-Hotels Adlon am Brandenburger Tor in starker Anlehnung an den zerstörten Vorkriegsbau.

Sein Selbstverständnis formuliert das Büro folgendermaßen: „Die Gebäudeentwürfe unterliegen keiner kurzweiligen Mode, sondern prägen durch klassische Bezüge mit dezenter Selbstverständlichkeit das Stadtbild und heben sich bewußt ab vom willkürlichen Neuheitenzwang moderner Fassadenplanungen. Sie fordern und fördern eine Architektur, die über den reinen Nutzen hinaus zur Verschönerung des Lebensumfeldes beiträgt und als wohltuend empfunden wird.“ In letzter Zeit errichtete das Büro Patzschke & Partner vor allem zahlreiche Berliner Mehrfamilienhäuser in einem zurückhaltenden Neoklassizismus, so zum Beispiel Kaiserdamm 16, Mommsenstraße 15 und im Fall Maybachufer 36–38 sogar mit einer Eckkuppel.

Das Segment des gehobenen Wohnungsbaus bedient das vor allem in Düsseldorf, Berlin und Hamburg aktive Traditionsunternehmen Ralf Schmitz. So realisiert es momentan in der Düsseldorfer Achenbachstraße 43 ein vom angelsächsischen Backsteinbau um 1900 inspiriertes Projekt. In Berlin baut das Büro das im Rundbogenstil ausgeführte Wohnprojekt „Alexander“ in Wilmersdorf und in der Preußenallee eine großbürgerliche Villa im Reformstil der Jahrhundertwende mit gewölbtem Risalit, Stuckdecken sowie Fensterläden. In Hamburg-Nienstedten wurde gerade ein Ensemble fertiggestellt, an denen das Auge des Flaneurs faszinierende Baudetails, beeindruckende Fassaden und Giebel mit höchstem Qualitätsanspruch wahrnimmt. Seinen eigenen Anspruch formuliert das Unternehmen Ralf Schmitz dergestalt: „Mit dem Kauf einer Ralf Schmitz-Immobilie erwirbt man nicht nur ein einzigartiges Wohnobjekt, man erwirbt in erster Linie ein Versprechen. Das Versprechen eines Unternehmens in fünfter Generation, jedes neue Objekt mit dem Anspruch zu entwickeln, dass es in jeder Konsequenz zu einer ganz besonderen Immobilie wird.“

Zur Riege der neoklassischen Architekten des neuen „Berliner Stils“ gehören auch der von südeuropäischer Baukunst inspirierte Marc Kocher und der stärker vom Streamline-Art-déco der 1920er Jahre beeinflußte Tobias Nöfer. Römisch-antik inspiriert sind die Villenbauten von CG Vogel Architekten, die vor allem im Berliner Umland errichtet werden.

Antik-römisch inspirierte Villen, charmante Details

Das setzt sich in einigen anderen Städten fort. In Hamburg machte das Architekturbüro Jakob Siemonsen durch hanseatisch weiße, neoklassizistische Villenbauten auf sich aufmerksam. In Dresden ist der Architekt Kelf Treuner aktiv, der dort mehrere traditionelle Neubau-Entwürfe verwirklichen konnte, darunter ein vom Jugendstil inspiriertes Privatwohnhaus in Dresden-Bühlau und den barock anmutenden Hotelneubau „Bülow-Palais“. In München ist der Architekt Helmut Rudolf Peuker aktiv, der in der bayerischen Metropole mehrere neoklassizistische Villenprojekte realisierte.

Dem Münchner Albert Ringlstetter gefielen nach eigener Aussage schon als Student alte Häuser, an denen er viele kluge und charmante Details erkannte. 1999 veröffentlichte er sein Buch „Einfach richtig bauen“ und machte sich danach an die Realisierung von Wohnhäusern unterschiedlicher Budgetklassen in Ziegelbauweise, die er meist im schlichten Historismus oder einem süddeutschen Heimatschutzstil errichtete – mittlerweile sind es 150 Häuser. „Das Ziel ist stets ein gelungener Entwurf, denn jedes Haus ist ein Unikat, maßgeschneidert für die Bedürfnisse einer Familie, das Baugrundstück und Budget“, erklärt er.

Das im Chiemgau ansässige Planungsbüro von Rudolf Rechl betont den Ortsbezug seiner Arbeiten: „Zentraler Ausgangspunkt unserer Arbeit seit 1980 ist die Überzeugung, daß jede Region über eine individuelle, eigenständige und hochwertige überlieferte Baukultur verfügt. Dieses höchst wichtige Kulturgut muß – gerade in der heutigen Zeit der banalen und industriellen weltweiten Vereinheitlichung – gepflegt werden.“ Die Wohn- und Gewerbebauten Rechls sind somit stark an traditionelle Bauernhausarchitektur der Region angelehnt.

Die Firma Deutsche Landhaus Klassiker aus Melle bietet gar traditionelle Fachwerkhäuser aus Eichenholz für private Bauherren zu überschaubaren Preisen an.

Es gibt also einen neuen Traditionalismus in Deutschland. Doch die Architekturbüros können solche Projekte bislang fast nur im gehobenen Wohnsektor verwirklichen. Aufträge kommen von solventen Bauherren, die die Bauten entweder für sich selbst oder eine begüterte Käuferschicht errichten. Im gesamten öffentlichen Sektor, also staatlichen Gebäuden und Kulturbauten, ist diese Entwicklung hingegen noch kaum angekommen. Hier dominieren bislang weitgehend modernistische Architekten, die von der regierenden Politik mit Aufträgen versorgt werden.

Im Verein Stadtbild Deutschland engagieren sich Bürger, denen Wiederaufbauten und traditioneller Städtebau ein Anliegen ist:

 https://stadtbild-deutschland.org