© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Der Euro erlebt derzeit seine stärkste Aufwertung seit 2017
Weltmachtphantasien
Thomas Kirchner

Zehn Prozent hat der Euro in nur drei Monaten gegenüber dem Dollar gewonnen. 2017 legte er immerhin 20 Prozent zu, brauchte dafür aber etwas mehr als ein Jahr. Auch gegenüber anderen Devisen ist der Greenback schwach: mehr als die Hälfte aller wichtigen Währungen vermelden neue Höchststände. Und schon halluzinieren Professoren im Elfenbeinturm, der Euro könne den Dollar als Leitwährung ablösen. Das war schon der Traum der EU-Machtpolitiker, als die Unionswährung eingeführt wurde.

Die europäischen Corona-Anleihen sollen es nun richten und Zentralbanken ermutigen, mehr Währungsreserven im Euro zu halten, wodurch der Euro ein Gegengewicht zum Dollar würde. Sicherlich wird auch die eine oder andere Notenbank die neuen Anleihen kaufen, doch bei einer Emission von zunächst 250 Milliarden Euro ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Gesamtbild der Reserven. 2019 etwa haben Zentralbanken 650 Tonnen Gold gekauft, das entspricht über 30 Milliarden Dollar beim derzeitigen Goldpreis, und niemand käme auf die Idee, zu behaupten, Gold würde in absehbarer Zeit den Dollar ablösen.

Seit Jahren investieren Zentralbanken in Euroanleihen, nur eben nicht in dem Umfang, wie es sich die Euro-Architekten erhofft hatten. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) meidet Anleihen zunehmend und kauft lieber Aktien. Dank der Niedrigzinsen ist das sinnvoll, denn im Schnitt liegt die schmale Dividendenrendite heute höher als der Zins, wie übrigens auch in den 1950er Jahren. Es ist wahrscheinlicher, daß Zentralbanken zunehmend Aktien kaufen, als daß sie massiv in die Brüsseler Corona-Anleihen einsteigen.

Wäre die derzeitige Entwicklung am Devisenmarkt eine Stärke des Euro, müßte der auch gegen andere Währungen steigen. Stattdessen sinkt der Dollar gegen viele Währungen, nicht nur die des Euro-Blocks. Das hat mehrere hausgemachte Gründe und nichts mit dem Euro zu tun. Da ist zunächst die US-Schuldenobergrenze, deren Anhebung nach den vielen Konjunkturprogrammen ansteht, und das möglicherweise noch im Wahlkampf. Dazu kommt der Zank ums nächste Konjunkturprogramm. Eine Billion Dollar soll es laut Donald Trump umfassen. Die gegnerischen Demokraten fordern sogar drei Billionen. Forderungen nach Steuererhöhungen und die guten Umfragewerte Joe Bidens sind weitere Risikofaktoren, wie auch die bevorstehende Aktualisierung der Beobachtungsliste des US-Finanzministeriums für Währungsmanipulationen, auf der Deutschland seit 2016 aufgeführt ist. Auch die Schweiz dürfte als Manipulator gebrandmarkt werden.

Der Spätsommer ist traditionell eine Periode mit vergleichsweise wenig Liquidität im Devisenmarkt, so daß es Überraschungen geben könnte. Die Ablösung des Dollar als Leitwährung steht aber nicht an.