© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Der nächste bitte
Megapleiten: Nach Wirecard ist auch die Immobiliengesellschaft „German Property Group“ insolvent
Martin Krüger

Als die Wirecard-Aktie zwischen 100 und 200 Euro im Dax notierte, kannten ihn selbst die meisten Anleger nicht. Seit 5. August ist er im öffentlichen Raum unübersehbar: „Betrug in Milliardenhöhe – Können Sie Hinweise zum Aufenthaltsort von Jan Marsalek geben?“, titelt das aktuelle Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes (BKA) sowie der Staatsanwaltschaft und des Polizeipräsidiums München. Auf einem Foto aus seinem österreichischen Paß von 2017, wo er sich nach seinem tschechischen Vater korrekt „Maršálek“ schreibt, ist der heute 40jährige mit braunem Vollbart zu sehen. Daneben prangt ein Bild als Wirecard-Vorstandsmitglied von 2019.

Vorgetäuschte Einnahmen blähten die Bilanz auf

Er werde verdächtigt, „ab einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt, spätestens im Jahre 2015, zusammen mit dem ebenfalls Beschuldigten Dr. Braun, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch Aufnahme von vorgetäuschten Einnahmen aus Zahlungsabwicklungen im Zusammenhang mit Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen“, erklärt das BKA.

Die Londoner Financial Times, die Wirecard schon 2015 im Visier hatte (JF 28/20), berichtet ständig Neues. Der Spiegel sieht daher einen „James-Bond-Krimi mit bizarren Zügen“ – „libysche Söldner, russische Agenten und dreckige Geschäfte“ inklusive. Selbst die EZB sah sich genötigt mitzuteilen, daß ihre Mitarbeiter keinen Insider-Handel betrieben hätten: Anders als den Kollegen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sei es ihnen „nicht erlaubt, Aktien von Wirecard zu besitzen, weil dieses Unternehmen die Kriterien als Finanzunternehmen in der Europäischen Union erfüllt“. Die Bafin hatte Wirecard allerdings nicht als Finanz-, sondern „Tech-Firma“ eingestuft.

Angesichts dieser unglaublichen Milliarden-Affäre und der wieder aufflammenden Corona-Krise ging fast unter, daß Geldanleger möglicherweise einen weiteren riesigen Fall von Anlagebetrug in Deutschland zu verkraften haben (JF 29/20). Die Immobiliengesellschaft German Property Group (GPG) hat im Juli einen Insolvenzantrag gestellt. Das juristische Fachblatt Juve hält es für denkbar, daß Anleger GPG (bis 2019 „Dolphin Capital“ genannt) mit rund einer Milliarde Euro ihr Vertrauen geschenkt haben.

Obendrauf sollen 500 Millionen Euro Schulden aufgetürmt worden sein. Das alte Spiel zeichnet sich ab. Laut der renommierten Kanzlei „Mattil & Kollegen“ habe GPG erklärt, daß zumindest über die „Dolphin Capital 80. Projekt GmbH & Co. KG“ mit dem ihr anvertrauten dreistelligen Millionenbetrag kein Grundbesitz für die Anleger erworben wurde. GPG hatte rund 100 Projektgesellschaften gegründet. Deren schrittweise Insolvenzanträge dürften jetzt folgen. Dolphin behauptete, bei ausländischen Anlegern Geld einzusammeln und davon sanierungsbedürftige, denkmalgeschützte Häuser in Deutschland zu kaufen. In ihnen sollten dann Wohnungen geschaffen und zum Kauf angeboten werden. Sobald ein Großteil veräußert sei, solle die Sanierung beginnen, lautete der Plan. Dolphin hatte vor, bereits in dieser Phase Anlegern Geld zurückzuzahlen.

Aktuell beschreibt sich die in GPG umbenannte Firma auf ihrer Homepage weiterhin als Unternehmen, das Grundstücke mit denkmalgeschützten Gebäuden, wie Fabriken, Schulen oder Verwaltungsgebäuden erschließt und durch gezielte Sanierungs- und Umbaumaßnahmen begehrten Wohnraum bereitstelle. Mit Weitblick schaffe man auf diese Weise besondere Wohnungen, die in ganz Deutschland nachgefragt würden, lautet der Tenor. Und weiter lautet das Angebot: „Erfahren Sie mehr über die Chancen und Risiken der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft.“ Einen Teil dieser Aussage vom 18. Oktober 2019 müssen Kapitalanleger jetzt wohl erleben. Berichtenswertes scheint es seitdem für GPG nicht zu geben. Auch der Firmen-Trailer beschränkt sich auf spärliche 14 Sekunden.

„Es gibt dort überhaupt kein privates Geld“

Doch Kritik ist nicht neu für das Unternehmen. Das ARD-Börsenfernsehen berichtete, daß bei diversen der 60 GPG-Gebäude die Sanierungsarbeiten stocken würden oder gar nicht begonnen hätten. Bürgermeister monierten, daß vereinbarte Leistungen nicht erfüllt wurden. Da auch britische Anleger betroffen sind, nahm sich sogar die BBC des Themas an. GPG/Dolphin habe mit einer „First Legal Charge“ argumentiert, weil das investierte Geld der Altersvorsorge diente: Dieses Dokument ähnle einer Hypothek, doch keiner der befragten Briten habe das Papier je erhalten. Nicht einmal eine Immobilienadresse des „Dolphin Project 80“ sei ihnen mitgeteilt worden – das sei nicht relevant.

Doch nicht nur Transparenz ist bei Kapitalanlagen wichtig. Auch bei markt­unüblichen Renditen ist Vorsicht angesagt. GPG hatte von bis zu 24 Prozent bei einer fünfjährigen Laufzeit gesprochen. Aktuell liegt die Rendite für Anleihen der öffentlichen Hand bei minus 0,21 Prozent. Die Dividendenrendite bei Dax-Aktien liegt seit Jahren im niedrigen einstelligen Bereich – bei der Deutsche Wohnen SE waren es 2019 beispielsweise nur 2,47 Prozent – der Fahrzeughersteller BMW erzielte dagegen 3,41 Prozent. Die GPG stellte gar seit mindestens September 2018 die Auszahlung ganz ein – weder die vereinnahmten Sanierungsbeiträge noch die propagierten Traumrenditen floßen.

Die Firma spielt auf Zeit. Mit Rundschreiben werden Anleger informiert, daß die „Consult Finance Estate“ (CFE) damit beauftragt worden sei, die Gesellschaftsstruktur zu reorganisieren. Zeitrahmen der Arbeiten: bis zu sechs Monate. Während dieser Zeit würden keine fälligen Forderungen bedient.

Auf der Webseite von der aus Malta sitzenden CFE gibt es unter „News“ nichts zu lesen. Ein eigenes Zahlenwerk der Geschätsbilanzen veröffentlicht GPG/Dolphin übrigens schon seit dem Jahr 2016 nicht mehr. Investoren aus Singapur sei sogar erzählt worden, daß ihr Geld durch eine frühere Wehrmachtskaserne in Mannheim gesichert sei. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sagte der BBC: „Die Bundesregierung besitzt das gesamte Grundstück und es gibt dort überhaupt kein privates Geld.“

Die GPG hat noch zwei weitere Pleite-Klassiker in petto: So wurde die Geschäftsleitung der Hauptgesellschaft in diesem Jahr bereits zweimal ausgewechselt. Und kurz vor dem Insolvenzantrag, verlegte die Firma ihren Sitz von Langenhagen nach Bremen. Angeblich ist dort jetzt eine Auffanggesellschaft tätig, wie Juve berichtet. Die Homepage nennt weiter Langenhagen-Hannover. Wirecard wie GPG – beide Fälle geben bereits jetzt ausreichend Stoff für eine Verfilmung.

Klageangebote im Fall Wirecard:

 www.wirecardclaim.com

 www.bka.de

 www.german-property-group.com

 www.cfe-ltd.de