© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

„Mit einem blauen Auge davonkommen“
Corona-Krise: Dramatischer Anstieg der Insolvenzen / Telekom will Marktführer in den USA werden / Otto findet Partner für Hermes
Christian Schreiber

Pessimisten überschlagen sich in der Corona-Krise mit düsteren Szenarios: Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt, daß im Herbst, wenn die Insolvenzantragspflicht wieder in Kraft tritt, 50.000 Geschäften das Aus drohe. Vor allem im Bereich Textilien, Schuhe und Lederwaren könnte es zu einer gigantischen Schließungswelle kommen. Auch in Gastronomie, Touristik, Luftfahrt, Veranstalter oder Messebau gibt es Existenzängste. „Selbst wenn die öffentlichen Beschränkungen alle wieder aufgehoben werden, werden die Unternehmen mit deren Folgen zu kämpfen haben“, heißt es in der Konjunkturumfrage des Ifo-Instituts.

Im Ausland scheint es noch viel schlimmer: Der globale Kreditversicherer Euler Hermes SE erwartet in einer aktuellen Studie für 2020 und 2021 einen kumulierten Anstieg der weltweiten Insolvenzen um 35 Prozent. Spätestens im dritten Quartal werde „diese Zeitbombe hochgehen, und die Schockwellen dürften sich ins gesamte erste Halbjahr 2021 ausbreiten“, prognostiziert Euler-Hermes-Manager Ron van het Hof. Vor allem für die USA, Brasilien, China, Portugal, Spanien oder Italien sehe es düster aus.

„Eine historische Weichenstellung“

Deutschland könnte aber „mit einem blauen Auge davonkommen“, glaubt Van het Hof. Vor allem wegen „der besseren Ausgangssituation und des kürzeren, weniger strikten Lockdowns“ und des „gemeinsamen Schutzschirms von Bund und Kreditversicherern für deutsche Unternehmen“. Zudem gibt es Firmen, die von der Corona-Pandemie profitieren. Der Aktienkus der Deutschen Telekom stieg seit März von elf auf über 15 Euro. Ob Telefonie, Internetangebote oder Streaming – es läuft. Lediglich das Großkundengeschäft kam ins Stocken. Viele Firmen hätten länger geplante Projekte verschoben.

Am 1. April hat die Telekom-Tochter T-Mobile den US-Konkurrenten Sprint übernommen. Langfristig könnten die Deutschen in der Branche die Nummer Eins in „God’s Own Country“ werden. „Die Fusion in den USA ist für den Konzern eine historische Weichenstellung“, schwärmte Telekom-Chef Tim Höttges bei der Präsentation der Quartalszahlen. Der Konzern rechnet mit Erhöhung des Jahresumsatzes von 80,5 auf mehr als 100 Milliarden Euro. Doch der US-Wachstumskurs hat seinen Preis: Die Fusionskosten ließen den Nettogewinn um 20,1 Prozent auf 754 Millionen Euro schrumpfen. Auch die kommenden drei Geschäftsjahre würden noch von der Milliarden-Übernahme belastet: „Wir haben immer darauf hingewiesen, daß die Integration von Sprint zunächst mit Integrationskosten verbunden ist“, so Höttges, der sich mit dem Expansionskurs zufrieden zeigt. Der Umsatz der neuen Gesellschaft erreichte im vergangenen Quartal 19 Milliarden Euro, und 1,2 Millionen neue Kunden konnten gewonnen werden. Damit wurde der einstige US-Marktführer AT&T bereits überholt, langfristig soll Branchenprimus Verizon – einst mit Vodafon verbandelt – verdrängt werden.

Bei der Deutschen Post spricht man sogar von einem „dauerhaften Weihnachtsgeschäft“. Da viele Verbraucher Läden meiden, transportierte der Logistik-Konzern ein Viertel mehr Pakete als im Vorjahreszeitraum. Obwohl im Vorjahr eine Tochterfirma verkauft wurde, stieg der Umsatz im vorigen Quartal auf knapp 16 Milliarden Euro. „Wer solche Zahlen für uns im April vorausgesagt hätte, wäre damals nur auf ungläubiges Kopfschütteln gestoßen“, sagte Finanzvorstand Melanie Kreis. Entscheidend für das Rekordergebnis sei der Onlinehandel, der in Deutschland den Paket­umsatz um 28,1 Prozent ansteigen ließ. Selbst bei der Luftfracht konnten die Bonner gute Zahlen vermelden, obwohl ein Großteil der Passagiermaschinen, die normalerweise im Frachtverkehr eingesetzt werden, am Boden blieb. Das Cargovolumen ging zwar um 13,7 Prozent zurück, dafür stieg das Bruttoergebnis um 42,4 Prozent. Einfache Erklärung: Die Preise sind stark angestiegen.

Auch der Post-Rivale UPS konnte seinen Umsatz im zweiten Quartal um 13,4 Prozent steigern. Das Online-Geschäft boomt derart, daß sogar die Otto Group – nach Amazon die Nummer zwei in Deutschland – nach zweijähriger Suche einen strategischen Partner für seinen Paketdienst Hermes gefunden hat. Der Finanzinvestor Advent steigt mit 75 Prozent der Anteile in die Tochterfirma in Großbritannien ein, in Deutschland sind es ein Viertel der Aktien. Hermes hatte mit der starken Konkurrenz durch DHL (Post) und UPS zu kämpfen, außerhalb der Städte ist der Paketlieferer eher schlecht aufgestellt. Mit dem Advent-Geld sollen zusätzliche Lagerkapazitäten und Läden geschaffen werden.

Einkaufsverhalten dauerhaft verändert

Wie sehr der Onlinehandel floriert, zeigt sogar ein Blick auf Deutschlands größte Parfümeriekette Douglas. Die Kunden, die in einem teuren Innenstadtladen mehrere Düfte ausprobieren und dann sich entscheiden, werden weniger. „Der Zeitpunkt ist absehbar, an dem wird in Deutschland mehr E-Commerce-Anbieter sein werden als stationärer Händler“, prognostiziert Konzernchefin Tina Müller. Coronabedingt mache der Umsatz im Netz bereits mehr als 40 Prozent aus. Er konnte so die immensen Verluste dämpfen, die durch die langen Ladenschließungen entstanden sind. Der Gewinn brach dennoch um über 90 Prozent auf nur noch vier Millionen Euro ein. „Die Geschäfte waren zwei Monate zu, das macht sich natürlich bemerkbar. Aber die Corona-Pandemie hat das Einkaufsverhalten stark und dauerhaft verändert.“ Daran werde sich wohl auch nichts mehr ändern – was Gewerbeimmobilien-Investoren hellhörig machen sollte.