© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Ein Milchmann, der König wurde
Filmlegende: Der schottische Schauspieler Sean Connery kann in der kommenden Woche seinen 90. Geburtstag feiern
Dietmar Mehrens

Als er König werden wollte, war er es längst: ein König der Filmbranche und gleichzeitig einer, der liebend gern abgedankt hätte. Die Rolle in John Hustons Abenteuerfilm „Der Mann, der König sein wollte“ (1975) nach Rudyard Kip-ling kam da wie gerufen: An der Seite seines Freundes Michael Caine spielte Sean Connery einen vermessenen Veteranen der britischen Krone, den es in die abgelegene Gebirgsregion Kafiristan verschlägt. Der dort isoliert von der Außenwelt lebende indigene Stamm läßt sich vorgaukeln, die beiden Männer seien göttlicher Abkunft. Während Caines bodenständigere Figur einfach nur mit dem Schatz, der den Gottgleichen zusteht, durchbrennen will, hat Sean Connery Blut geleckt: Er möchte Gottkönig bleiben und bezahlt – in einem furiosen Finale – für seine Hybris mit dem Leben.

Es muß für Connery ein schauriges Vergnügen gewesen sein, den unbesiegbaren Helden, als der er seit seiner Zeit als Superagent 007 galt, auf diese Weise in den Abgrund zu stürzen. Erstaunlich oft für einen Leinwandhelden seines Kalibers überleben ihn seine Filmfiguren nicht. In „Robin und Marian“ (1976), Richard Lesters zeittypischer Dekonstruktion des Robin-Hood-Mythos, zeigt er den Räuberhauptmann von Sherwood als gebrochenen Helden, der am Ende von seiner großen Liebe den Giftbecher gereicht bekommt.

Auch der Tod des eigentlich unsterblichen Ramirez in der Fantasy-Mär „Highlander“ (1986) durch Enthauptung gleicht einem Königsmord, um nicht zu sagen: einem Sakrileg. Und die von Al Capone verordneten MG-Salven, mit denen Brian De Palma den aufrechten Polizisten Malone durchsieben läßt, den der – für seine Leiden mit dem Oscar belohnte – Schotte in „Die Unbestechlichen“ (1987) verkörperte, sind ein Kugelhagel mitten hinein in die Seele des Zuschauers.

Es paßt ins Bild, daß die beiden spektakulären Heldentode auf „Sag niemals nie“ (1983) folgten, Connerys spektakuläre Rückkehr als James Bond, den er doch eigentlich nie im Leben mehr hatte spielen wollen. Nach jahrelangem Streit um die Rechte an Bond Nr. 4, „Feuerball“ (1965), konnte er mit fünf Millionen, der gleichen Gage, die Roger Moore für den parallel produzierten offiziellen Bond „Octopussy“ einstrich, erfolgreich geködert werden. Auch das Duell der befreundeten Stars an den Kinokassen ging unentschieden aus. 

Zum Abschied vom Agentendasein war es 1972 gekommen, weil dem Mimen die Grenzverwischung zwischen Privatperson und Filmfigur gehörig auf die Nerven fiel. Wie die Beatles war der Meisterspion in den sechziger Jahren zum Gegenstand kultischer Verehrung geworden. Das lag aber nicht allein am aggressiven Filmmarketing der Bond-Produzenten Saltzman und Broccoli. Connery selbst hatte die Härte und Herzenskälte des von Ian Fleming ersonnenen Romanhelden durch eine ironische Note aufgefangen und so erst den besonderen Bond-Charme kreiert, den viele bis heute mit seinem Namen verbinden.

Erfolglos spielte der Vollprofi mit starken Rollen, als perfider Erbschleicher in „Die Strohpuppe“ (1964), in Hitchcocks Psychokrimi „Marnie“ (1964) oder in dem ambitionierten Western „Shalako“ (1968) mit Filmpartnerin Brigitte Bardot, gegen die Bond-Besessenheit an, die mit „Goldfinger“ (1964) dank Gert Fröbe als charismatischem Gegenspieler nochmals zunahm. Zu nahm in Connerys Augen auch die Ignoranz der Journalisten. Die Hochzeit Ende 1962 mit seiner schwangeren Lebensgefährtin, der Schauspielerin Diane Cilento, schirmte er vor der Presse ab. Jetset-Trubel haßte er. Der Lohn: zweifelhafter Ruhm als Snob.

Mit Broccoli/Saltzman, die 007 steinreich gemacht hatte, gab es bald Streit ums liebe Geld. Daß es weniger der ihm oft unterstellte schottische Geiz war als vielmehr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, wenn er später ihm vorenthaltene Gewinnbeteiligungen verbissen einklagte und so Ende der Siebziger die Produktionsfirma Allied Artists in den Ruin trieb, läßt sich ablesen an Connerys Groll, als er erfuhr, daß Robert Redford, Ikone des kapitalismuskritischen New Hollywood, für seine Rolle in dem stargespickten Kriegsfilm „Die Brücke von Arnheim“ (1977) zwei Millionen Dollar einheimste, während man ihn für seinen glorreichen Auftritt als General Urquhart mit 350.000 abspeisen wollte. Andererseits spendete er die Millionengage für den sechsten Bond einer von ihm selbst gegründeten Stiftung für Unterprivilegierte in seiner schottischen Heimat.

Sein Sinn fürs Pekuniäre hat Gründe. Der am 25. August 1930 in Edinburgh geborene Sohn eines Hilfsarbeiters hatte schon früh den Ehrgeiz, den prekären Verhältnissen zu entfliehen, die seine Kindheit prägten. Mit 13 verließ er die Schule, verdingte sich als Milchmann und Zeitungsausträger, um die knappe Familienkasse aufzubessern. Später ging er zur Marine. Er wollte mehr von der Welt sehen als die tristen Fassaden seines Edinburgher Stadtteils Fountainbridge. Doch der 19jährige erkrankte und wurde entlassen. Er begann eine Schreinerlehre. Gelegentlich nutzte er sein vorteilhaftes Aussehen und modelte. Bei einer „Mr. Universum“-Wahl in London gewann er Bronze. Die Bühnenshow „South Pacific“, in der der vorzeigbare 1,88-Meter-Mann als Statist mitwirkte, wurde schließlich sein Laufsteg in die Schauspielerei. Ein Kollege forderte den nach einem populären Western jetzt „Shane“/Sean Genannten auf, seine Bildungslücken zu stopfen und mehr aus sich zu machen – Startschuß für Connerys Karriere als Autodidakt. Er begann Bücher zu verschlingen, als wären sie Fish and Chips. Ein verlockendes Angebot von Manchester United als Profifußballer schlug er aus. Eine Karriere als Kicker würde auf jeden Fall früher enden als die als Darsteller, sagte sich der stets kühl kalkulierende Schotte. 

Nach dem Ausscheiden Larry Hagmans (des späteren „Dallas“-J.R.) aus dem Musical „South Pacific“ bekam er den Zuschlag für die Rolle eines Lieutenants und konnte sich endlich als richtiger Schauspieler fühlen. Seine erste Filmrolle ergatterte er 1956: Er spielte einen kleinen Ganoven in dem billigen Gangsterdrama „No Road Back“. Als Durchbruch gilt die TV-Produktion „Requiem für ein Schwergewicht“ (1957): Connery verkörperte – in Vertretung des unabkömmlichen Jack Palance – einen Boxer im Karriereherbst so überzeugend, daß ihn Twentieth Century Fox für sieben Jahre unter Vertrag nahm. Das brachte ihm ein sicheres Einkommen, aber keine Garantie auf gute Rollenangebote.

Seine Popularität nahm statt dessen – eine unangenehme prägende Erfahrung – durch einen lupenreinen Hollywood-Skandal zu: Sein Dreh mit Leinwandlegende Lana Turner („Herz ohne Hoffnung“, 1958) trieb Turners eifersüchtigen Liebhaber John Stompanato zur Raserei. Er bedrohte Connery mit einer Pistole; der schlug ihn nieder. Als die Arbeit für Walt Disneys „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“ (1959) Connery nach Hollywood führte, sah er sich Morddrohungen der Mafia ausgesetzt. Stompanatos Freunde aus der Unterwelt gaben Turners Filmpartner an dem tragischen Ausgang der Halbweltromanze eine Mitschuld. Die Tochter der Filmdiva hatte den gewalttätigen Gangster am 4. April 1958 in Notwehr erstochen. 

Daß Connery trotz seines starken Akzents für einen großen Film wie „Dr. No“, den ersten Bond-Film von 1962, den Zuschlag bekam, lag an 007-Regisseur Terence Young. Der hatte sich für ihn eingesetzt, weil er meinte, nach dem lauen Actiondrama „Operation Tiger“, das er 1956 mit ihm gedreht hatte, noch etwas wiedergutmachen zu müssen.

Was die Produzenten Harry Saltzman und Albert Broccoli, die sich die Filmrechte an Flemings Romanreihe gesichert hatten, aber am meisten für den Neuling eingenommen haben dürfte, war, daß er im Gegensatz zu etablierten Stars wie Cary Grant oder James Mason, die überdies langfristige Verträge scheuten, für 6.000 Pfund Gage zu haben war. „Dr. No“ und ein Jahr später der noch aufreizendere Nachfolger „Liebesgrüße aus Moskau“ schlugen ein wie eines der vielen Geschosse, die in den Filmen abgefeuert werden. Die Mischung aus Sex, Gewalt und Eleganz traf den Nerv der Zeit.  

Am Abschied von 007 ließ der zur Filmlegende Avancierte auch optisch keinen Zweifel: Ohne lästiges Toupet, dafür mit virilem Bart präsentierte er sich dem Publikum in den Siebzigern – leider oft in schwachen Filmen wie der bizarren Dystopie „Zardoz“ (1974), deren tieferen Sinn man besser gar nicht erst zu verstehen versucht. Nach seinem siebten Auftritt als James Bond jedoch war Connery wieder blendend im Geschäft.

Mit der Hauptrolle in „Der Name der Rose“ (1986) nach Umberto Ecos berühmtem Klosterkrimi gelang dem Edinburgher ein kolossaler internationaler Erfolg. Der Film des deutschen Produzenten Bernd Eichinger war in Europa ein Publikumsmagnet. Ein Glücksgriff war auch die Rolle als Vater des von Harrison Ford verkörperten Abenteurers Indiana Jones im dritten Film der Reihe. Mühelos gelang Connery der Sprung vom Kinoflaggschiff der Sechziger, dem Agentenkrimi, in das prägende Genre der Achtziger, den Abenteuerfilm. Regisseur Steven Spielberg nannte ihn 1992 einen der fünf besten Schauspieler der Welt.

In den neunziger Jahren blieb er präsent in einer Reihe aufwendiger Produktionen wie „Jagd auf Roter Oktober“ (1990) oder „The Rock“ (1996) sowie in einigen soliden, aber mittelmäßigen Krimis. Für „Das Rußland-Haus“ (1990) begab er sich noch einmal auf das Terrain der Agenten und Spione. Da die Vorlage diesmal aber von John le Carré stammte, kann man den Film auch als Anti-Bond sehen. Wieder wurde er König, spielte Richard Löwenherz in „König der Diebe“ (1991) – kleine Hommage an seinen eigenen Robin Hood von 1976 – und Artus in „Der erste Ritter“ (1995). 2000 empfing er selbst den Ritterschlag – sein schottischer Patriotismus hatte die Ehrung verzögert. Connery tritt ein für ein unabhängiges Schottland, ist Mitglied und Förderer der Scottish National Party.

Wie ein König im Exil lebt er heute auf den Bahamas. Um ein Haar wäre es in Spielbergs viertem „Indiana Jones“-Film 2008 zu einem letzten spektakulären Auftritt des unerschütterlichen Schotten gekommen; doch am Ende machte er wegen „kreativer Differenzen“ einen Rückzieher. So verließ er als Abenteurer Quatermain in der Comic-Verfilmung „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ (2003) die große Filmbühne. Der Film ist zwar nur Dutzendware, aber der Gedanke, als außergewöhnlicher Gentleman in Erinnerung zu bleiben, er dürfte dem Milchmann von Fountainbridge durchaus behagen.