© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/20 / 21. August 2020

Dem Zeitgeist verhaftet
Deutsche Sprache: Der neue Duden löst einen Streit ums Gendersternchen aus
Thomas Paulwitz

Mit „Gendersternchen“ und Corona: Am 12. August ist die 28. Auflage des Rechtschreibdudens erschienen, nur drei Jahre nach der 27. Auflage. Das Verfallsdatum einer neuen Duden-Auflage wird heute viel schneller erreicht als früher: Vor der Rechtschreibreform dauerte es etwa sechs bis sieben Jahre, bis ein neuer Duden herauskam. Seit dem Sündenfall der deutschen Orthographiegeschichte sind es nur noch zwischen zwei und vier Jahren.

Um so abhängiger ist die Wörterbuch-Redaktion von der Mode: Mit insgesamt 148.000 Stichwörtern enthält der Duden 3.000 neue Wörter. Sind Anglizismen wie „nice“ nicht besser in einem Fremdwörterbuch aufgehoben? Nach Ansicht der Dudenredaktion offenbar nicht: Der Anglizismenanteil hat sich etwa durch neue Hauptwörter wie „Binge-Watching“, „Darter/Darterin“, „Concealer“ und „Grooming“, aber auch durch neue Verben wie „batteln“, „downcyclen“, „fracken“, „haten“, „hypen“ und so weiter massiv erhöht. Der Anteil denglischer Verben ist besorgniserregend, denn diese passen sich besonders schlecht der deutschen Sprache an.

Muß man Eintagsfliegen, die in wenigen Jahren bereits wieder außer Kurs sind, wirklich mit einem Wörterbucheintrag adeln? Neu sind Schlagwörter aus der regierungsfreundlichen Tagespolitik, etwa zu den Themen Fremdenfeindlichkeit („Alltagsrassismus“), Klima („Fridays for Future“, „Dieselaffäre“, „Flugscham“) und Internetkontrolle („Hasskommentar“ und „Hatespeech“). Auch die Corona-Politik sorgte für zahlreiche Neuaufnahmen von „Covid-19“ über „Social Distancing“ bis „Reproduktionszahl“. Entbehrlich erscheint die Aufnahme zusammengesetzter Hauptwörter: Warum braucht man das neue Stichwort „Katzenvideo“, wenn „Katze“ und „Video“ bereits verzeichnet sind?

Im Gegenzug hat die Dudenredaktion 300 Stichwörter gelöscht, weil sie nur noch selten auftauchten. Abgesehen davon, daß mit dem Verlust von „Standesehre“ und „Zehrpfennig“ ein Stückchen Geschichte verschwindet und poetische Wörter wie „erschrecklich“ und „Jägersmann“ von Natur aus eben selten sind: Gerade bei nicht sehr häufigen Wörtern wie „hiedurch“ und „danieden“ stellt sich eher die Frage, wie sie denn geschrieben werden, oder ob die vorgefundene Schreibweise denn richtig ist.

2022 droht uns eine Gender-Schreibreform

Wenn einem die Suchmaschinen das Nachschlagen abnehmen und gedruckte Bücher an Bedeutung verlieren, müssen sich Wörterbuchverlage eben etwas einfallen lassen, um dicke Nachschlagewerke an den Mann zu bringen. Das Bibliographische Institut in Berlin als Herausgeber setzt dabei besonders beim Gendern voll auf den Zeitgeist: „cisgender“, „transgender“, „genderneutral“ sind zum Beispiel neue Einträge. Die Neuaufnahme des Wortes „Gendersternchen“ ist darüber hinaus ein Signal, denn der Duden gibt auf drei Seiten „Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch“. Diese lassen nun auch den Genderstern zu – eine scheinbar unverbindliche Darstellung. Doch was wie ein Vorschlag aussieht, wird in Wirklichkeit als Vorschrift verstanden. Eine Sprecherin der Stadt Mannheim hat im Zusammenhang mit Genderregeln das Wort von den „verbindlichen Empfehlungen“ geprägt.

Das gefällt nicht allen: Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung setzte die Wiesbadener „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS) einen Kontrapunkt: „Die GfdS rät ausdrücklich davon ab, das Gendersternchen und ähnlich problematische Formen zu verwenden.“ Pikant daran ist, daß sowohl Dudenredaktion als auch GfdS dem Rat für deutsche Rechtschreibung angehören. Diese von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Regierungsorganisation betreut das offizielle Regelwerk zur Rechtschreibung. Der Rat besitzt eine Arbeitsgruppe „Geschlechtergerechte Schreibung“, die allerdings noch zu keinem Ergebnis gekommen ist. Mit der neuen Auflage des Dudens will die Dudenredaktion nun offenbar Tatsachen schaffen, um den für 2022 geplanten Abschlußbericht des Rechtschreibrates entscheidend zu beeinflussen.

Aufschlußreich ist besonders die Haltung von Sabine Krome, der Geschäftsführerin des Rechtschreibrats. Sie hält die kürzliche Einführung des Gendersterns in der Verwaltung der Stadt Stuttgart für „vollkommen in Ordnung“. Gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte sie zwar, daß der Rechtschreibrat bisher keine Empfehlung für den Genderstern ausgesprochen habe. Dieses Sternchen sei jedoch „die beste Möglichkeit, in bestimmten Textsorten Mehrgeschlechtlichkeit zum Ausdruck zu bringen“. Somit dürfte klar sein, daß die nächste Rechtschreibreform 2022 eine Gender-Schreibreform sein wird.

Das Privileg „maßgebend in allen Zweifelsfällen“ verlor der Duden 1996 mit der Rechtschreibreform. Ratsuchende Menschen gestehen dem Duden jedoch weiterhin eine Richtlinienkompetenz in Fragen der Rechtschreibung zu, obwohl er diese offiziell nicht mehr besitzt. Im Bann des Zeitgeistes fällt es der Dudenredaktion schwer, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung Deutsche Sprachwelt.

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