© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Michael Ballweg organisiert die „europaweite Corona-Demo“ am Samstag in Berlin
Der Gandhi vom Neckar
Friedrich-Thorsten Müller

Es liegt in der Natur turbulenter Zeiten, daß sie mitunter  Persönlichkeiten hervorbringen, die plötzlich hohen Bekanntheitsgrad erreichen. Aktuelles Beispiel: Michael Ballweg, Mitbegründer und Sprecher der Initiative „Querdenken-711“, die die wachsenden „Hygienedemos“ in Stuttgart (0711 ist dessen Telefonvorwahl) organisiert und spätestens seit der von ihr ebenfalls auf die Beine gestellten Großdemonstration am 1. August in Berlin bundesweit bekannt ist.

Bis vor wenigen Monaten noch völlig unpolitisch, haben die Grundrechtseinschränkungen der aus seiner Sicht verfehlten Lockdown-Politik Ballweg aufgeschreckt. Und das so nachhaltig, daß der 45jährige sein geregeltes Leben als IT-Fachmann, Unternehmensberater und Inhaber einer Firma in Stuttgart mit 27 Mitarbeitern mehr oder weniger ruhen läßt und gegen die Organisation einer nicht enden wollenden Reihe von Demonstrationen eingetauscht hat. Dort tritt er nicht nur als Redner auf, sein Idealismus geht sogar so weit, daß er nach eigenem Bekunden sogar als Geldgeber fungiert. Und da er nicht an den Fortbestand unseres Finanzsystems glaubt, habe er gar seine gesamte Altersvorsorge aufgelöst, um das Geld in die Corona-Protestbewegung zu stecken.

Nachdem sich in einigen Städten Ableger von „Querdenker“ gegründet haben (mit der jeweiligen Telefonvorwahl statt der 711 im Namen), ist das nächste Ziel die zweite Großdemo an diesem Samstag in Berlin. Ernsthaft spricht Ballweg von „zehn Millionen Menschen aus ganz Europa“, die er am 29. August zur „größten Demonstration aller Zeiten“ zusammenbringen will. Er hofft, unter dem Eindruck einer solchen Veranstaltung würden sich die Corona-Beschränkungen dann von selbst erledigen.

Doch wer Ballweg ob solcher Irrwitzigkeit für einen Sprücheklopfer hält, liegt falsch. Zwar könnte man ihn wegen seiner Gelassenheit auf den ersten Blick für selbstgefällig halten, tatsächlich aber hat er eher eine bemerkenswerte innere Ruhe, die er einem Gandhi abgeschaut haben könnte. Und mit seinem Motto „Liebe, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung“ meint Ballweg es absolut ernst. Das merkt man auch daran, daß er keinerlei gesellschaftlich verordnete Berührungsängste zeigt, sei es gegenüber Ken Jebsen, dem sogenannten „Silberjungen“ Thorsten Schulte oder dem AfD-nahen Deutschlandkurier. Dem gab Ballweg, der Pressetermine restriktiv handhabt, ein Interview, jedoch ohne der vom Reporter vertretenen Position, daß „kulturfremde Einwanderung schadet“, zuzustimmen. Dazu paßt, daß er auf der Bühne demonstrativ dunkelhäutige Mitstreiter in Szene setzt. Trotzdem scheut er mit seiner Medienschelte, Anspielungen wie etwa, warum Deutschland seit 1945 keinen Friedensvertrag hat oder der Frage, wie lange unser Finanzsystem noch hält, nicht vor politisch Unkorrektem zurück.


www.querdenken-711.de