© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Ländersache: Brandenburg
... blühn aus den Tränen auf
Peter Möller


Zweimal in seiner Geschichte verstummte das berühmte Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche. Das erste Mal im April 1945, als kurz vor Kriegsende alliierte Bomber weite Teile der alten preußischen Residenzstadt in Schutt und Asche legten und auch die barocke Garnisonkirche mit ihrem Glockenspiel ein Raub der Flammen wurde. Das zweite Mal, als Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) im vergangenen Jahr die 1991 in der Nähe des Standorts der 1968 vom SED-Regime abgeräumten Kirchenruine errichtete Kopie des Geläuts abschalten ließ.

Der Vorwurf: Einige Glocken, die auf Initiative des damaligen Oberstleutnants der Bundeswehr Max Klaar angefertigt und 1987 zunächst in einer Kaserne im nordrhein-westfälischen Iserlohn aufgestellt wurden, tragen Inschriften, die an Einheiten der Wehrmacht erinnern.

Nun ist die Geschichte des Geläuts um ein weiteres erstaunliches Kapitel reicher: Denn derzeit wird um die Zukunft des Stahlgerüsts mit den verstummten Glocken gerungen, das auf einer Grünfläche steht. Linkspartei und Grüne in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung wollen nun vollendete Tatsachen schaffen, die Glocken einschmelzen und die Bronze anschließend verkaufen.

Der Erlös solle in den Kulturhaushalt der Stadt fließen, schlagen die beiden Parteien vor und berufen sich dabei auf das Votum des Historikers Paul Nolte, der das Glockenspiel als „aus heutiger Sicht historisch-politisch unzumutbar“ bezeichnet hatte. Nach Ansicht der Fraktionschefin der Grünen in der Stadtverordnetenversammlung, Saskia Hüneke, verknüpfen die Inschriften auf dem Glockenspiel „in einer geradezu unerträglichen Bigotterie christliches Ideal, preußische Geschichte und den Geschichtsrevisionismus aus reaktionären Kreisen der alten Bundesrepublik“.

Andere Parteien machen weniger radikale Vorschläge für die Zukunft des abgeschalteten Geläuts. „Die Vergangenheit sollte man nicht wegschmelzen, sondern als Mahnung im Bewußtsein halten“, teilte die CDU-Fraktion mit. „Das Potsdamer Glockenspiel sollte im Hinblick auf die historische Verantwortung diskutiert werden, wie es kontextualisiert als Mahnmal integriert werden kann.“

Einen sehr pragmatischen Vorschlag zur Verwendung der Stahlkonstruktion hat unterdessen die Fraktion „Die Anderen“: Sie schlägt den Umbau zu einem Klettergerüst vor und möchte zumindest zwei der Glocken einem Museum übergeben.Unterdessen haben die Potsdamer Neuesten Nachrichten darauf hingewiesen, daß der Stadt bei einer Demontage des Glockenspiels zunächst einmal Kosten entstehen würden, wie die Stadtverwaltung bereits 2006 ausgerechnet hat: „Aus finanzieller Sicht würden sich die Kosten für einen Abriß auf ca. 15.000 Euro, die Kosten für den Transport auf ca. 70.000 Euro belaufen“, teilte die Stadtverwaltung auf eine entsprechende Anfrage mit. Wie hoch der Erlös durch den Verkauf des Kupfers wäre, ist dagegen noch unklar. Derzeit liegt der Bronzepreis zwischen 7.500 bis 8.000 Euro pro Tonne. Das Glockenspiel besteht aus 40 Glocken unterschiedlicher Größe, von denen die größte 1.900 Kilogramm wiegt.

Der fortschreitende Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche ist von der neuerlichen Posse um das Glockenspiel übrigens nicht betroffen: Für den neuen Turm ist sowieso ein neues Glockenspiel vorgesehen.