© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Ohne dich
Urteil: Andreas Kalbitz bleibt aus der AfD ausgeschlossen / Juristisches Tauziehen und Machtkampf gehen weiter
Christian Vollradt


Aus der raschen Rückkehr in die AfD per Gerichtsbeschluß wurde nichts. Andreas Kalbitz bleibt draußen. Das Berliner Landgericht wies am Freitag vergangener Woche den Eilantrag des Brandenburgers, ihm die Mitgliedsrechte „bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens uneingeschränkt zu belassen“, ab. Damit gilt, was das Bundesschiedsgericht der AfD festgestellt hat: Die Entscheidung des Parteivorstands, die Mitgliedschaft Kalbitz’ zu annullieren ist rechtsgültig. Vorerst, muß man hinzufügen, denn das Berliner Urteil ist noch nicht rechtskräftig, und selbstverständlich bleibt auch der weitere Rechtsweg offen. Doch der wird – da ist man sich weitgehend einig – ein langer sein.

Er könne im Urteil der Parteirichter nicht feststellen, ‚‚daß das alles evident rechtswidrig ist“, so der Vorsitzende der Zivilkammer. Die weitergehenden – auch unter Parteirechtlern umstrittenen – Fragen, inwieweit eine Annullierung der Mitgliedschaft wegen falscher Angaben bei der Aufnahme hier möglich ist oder ob ein „normales“ Ausschlußverfahren notwendig wäre, müsse im Hauptsacheverfahren vertieft werden.

Frank Pasemann soll ebenfalls gehen

Mit dieser Entscheidung sei den „Zweifeln an der Rechtmäßigkeit unseres Vorgehens in der Causa Kalbitz endgültig jede Basis entzogen“, zeigte sich der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen sichtlich zufrieden. Das war vor allem ein Seitenhieb auf die Bedenkenträger an der Bundesspitze. Doch die, zuvörderst sein Co-Vorsitzender Tino Chrupalla, bleiben trotz allem dabei, daß „eine lange juristischeAuseinandersetzung“ drohe, „die ich der Partei gerne erspart hätte“. Auch Fraktionschef Alexander Gauland äußerte, er sei nach wie vor der Auffassung, daß der vom Bundesvorstand eingeschlagene Weg „juristisch nicht sauber ist“.

Für Gauland ist die ganze Sache mißlich. Der Parteipatriarch vertrat stets die Überzeugung, daß die AfD Autorität von oben nur in homöopathischen Dosen vertrage. Den nun von Meuthen forcierten Showdown im Kampf der gegensätzlichen Lager hält Gauland für existenzgefährdend. Eine – wachsende – Zahl parteiinterner Kritiker dagegen ist der gegenteiligen Ansicht: Gerade wenn man die Dinge so weiterlaufen lasse und mit Appellen an die „Einigkeit“ bemäntele, sei die AfD vor allem in den größeren West-Bundesländern bedroht und biete zudem Angriffsflächen für eine Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz.

Mehr erschüttert als das Urteil am Freitag hat Gauland in Sachen Kalbitz jedoch die „Milzriß-Affäre“ (JF 35/20). Für den Ehrenvorsitzenden hat sich sein Nachfolger in Brandenburg damit ins politische Aus geschossen. Um so mehr versucht Gauland dem Eindruck entgegenzuwirken, er halte unverändert die Hand über den – vermeintlichen – Ziehsohn. Kalbitz fiel laut Insidern inzwischen auch bei engen Weggefährten des früheren „Flügels“ in Ungnade. Der Parteitratsch verbreitet munter Details eines unsteten Lebenswandels. Für Beobachter eine logische Folge, da die ehemals Loyalen von Kalbitz nicht mehr profitieren können, seine Gegner ihn nicht mehr fürchten müssen.  
Inzwischen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Kalbitz zudem wegen des Verdachts der falschen Versicherung an Eides statt. Denn im Streitfall um die Annullierung seiner Mitgliedschaft hatte er zwei eidesstattliche Versicherungen abgegeben, wonach er weder dem Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ noch der Vorgängerorganisation „Die Heimattreue Jugend e.V.“ angehört habe. Dagegen hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellt, eine „Familie Andreas Kalbitz“ tauche unter der Mitgliedsnummer 01330 bei der HDJ auf. Für den Anwalt des Bundesvorstands, Joachim Steinhöfel, steht damit fest: Nur eine der sich widersprechenden Angaben kann stimmen. Damit müssen sich entweder die Mitarbeiter des Inlandsnachrichtendienstes der üblen Nachrede strafbar gemacht haben – oder Andreas Kalbitz der falschen eidesstattlichen Erklärung und damit des Prozeßbetrugs.  
Unterdessen war die Entscheidung des Landgerichts, Kalbitz’ Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abzulehnen, nicht die einzige Personalie mit möglichen Auswirkungen auf die innerparteiliche Machtarithmetik. Am Mittwoch vergangener Woche teilte der Landesverband Sachsen-Anhalt mit, der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann sei durch einen Beschluß des Landesschiedsgerichts aus der AfD ausgeschlossen worden: Hintergrund des Ausschlußverfahrens war zum einen Finanzielles: Dem Magdeburger wurde unter anderem vorgeworfen, seine Mandatsträgerabgabe nicht vollständig geleistet zu haben. Zum anderen ging es um seinen – später gelöschten – Tweet aus dem Februar dieses Jahres, in dem er Äußerungen des Publizisten Michel Friedman mit der Bemerkung „Der ewige Friedman“ quittierte. Das wurde als Anspielung auf den antisemitischen Hetz- und Propagandafilm „Der ewige Jude“ verstanden.  

Der Pasemann-Rauswurf traf den (ehemaligen) „Flügel“ offenbar noch härter als die ganze Kalbitz-Affäre. Denn der Politiker aus Sachsen-Anhalt ist zwar lange nicht so prominent wie die beiden Mitstreiter aus Brandenburg und Thüringen. Aber er sitzt im Bundestag und galt damit als Björn Höckes Verbindungsmann in der Fraktion, in der der „Flügel“ kaum repräsentiert ist. Nun könnte auch dieser Draht gekappt sein. Noch ist nicht völlig geklärt, ob Pasemann nach dem Parteiausschluß noch Mitglied der Fraktion ist. In deren Arbeitsordnung heißt es: „Die Mitgliedschaft in der Fraktion endet durch Tod, Erlöschen des Mandats, Beendigung der Mitgliedschaft in der AfD sowie durch Austritt und Ausschluß aus der Fraktion.“ Demnach wäre Pasemann nicht mehr ihr Mitglied, und die AfD hätte noch 88 Abgeordnete im Reichstag.