© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Herzlich willkommen in Belarus!
22 Stunden am Flughafen Minsk festgehalten: Über eine vereitelte JF-Reportage aus Weißrußland
Christian Rudolf


Seit Studententagen mit Weißrußland verbunden, hält mich nichts in Berlin. Ich muß dorthin, wo heute das Herz Europas schlägt, will vielfältige Stimmen und Lagebilder aus erster Hand einfangen. Um den JF-Lesern authentisch aus einem Land zu berichten, dessen Volk unter Opfern für Rechte und Freiheiten demonstriert, die uns selbstverständlich scheinen.
Vor dem Flug nach Minsk weiß ich: Die Chance, ins Land gelassen zu werden, steht fünfzig zu fünfzig. Berufskollegen twittern, sie seien tags zuvor in Abschiebehaft genommen worden. Zwei Tage zuvor hatte Lukaschenko angewiesen, die Bewachung der Staatsgrenzen noch einmal zu verstärken.

Der Belavia-Flug ist dünn besetzt. Im blitzblanken Empfangsterminal des internationalen Flughafens Minsk läßt ein knappes Dutzend Grenzpolizisten die Ankommenden nicht aus den Augen. Ich trete an eines von 22 Kontrollhäuschen, weise meinen Reisepaß vor. Die Grenzerin prüft routiniert die Übereinstimmung zwischen Foto und meinem Gesicht, sieht mit der Uhrmacherlupe die Sicherheitsmerkmale des Passes nach. Wie andere vor mir werde ich fotografiert. Mein Paß ist unauffällig, keine Stempel.

„Und jetzt geht es in den Gästetrakt. Kommen Sie!“

Nach dem Einscannen des Dokuments wird sie unruhiger, blickt auf den Bildschirm, greift zum Hörer, telefoniert kurz, legt auf, telefoniert wieder. Fragt, wohin ich wolle. „Nach Minsk.“ Zu welchem Zweck? „Privatreise.“ Sie sieht etwas auf dem Bildschirm nach, den ich nicht einsehen kann. Gewinnend neigt sie sich mir zu, doch ich spüre, die Grenzerin weiß schon mehr über mich, als mir jetzt lieb sein kann. Wen ich besuchen wolle, Freundin oder Freund? Einen Freund. Sie greift zum dritten Mal zum Hörer. Einer jungen Bediensteten in Zivil schiebt sie meinen Paß durch, „kommen Sie!“, bedeutet mir diese.

Eine Stunde Warten. Auch andere Ausländer sind in der Marmorhalle zurückgehalten worden. Dann werde ich in ein Kabuff geleitet, enger als ein Beichtzimmer. Ein Uniformierter kontrolliert die Tür, ein Herr in Zivil sitzt am Tisch, neben ihm ein eingeschalteter PC, ein junger Blonder in Zivil steht. „Nehmen Sie Platz! Waren Sie schon in Belarus?“ „Ja, mehrere Male.“ Er macht sich Notizen auf einem Din-A-4-Blatt. „Sie können Russisch? Warum? Zeigen Sie uns den Inhalt der Tasche!“ Ich ziehe einen Stadtplan von Minsk hervor. Der junge Mann faltet ihn vollständig auseinander, beguckt ihn von beiden Seiten. „Wieviel Bargeld haben Sie dabei? Zeigen Sie es uns!“ Dem Mann am Tisch muß ich es vorzählen. „Haben Sie Gepäck aufgegeben? Was ist da drin?“ „Nun, Kleidung …“ „Als was arbeiten Sie?“ „Journalist“ ist hier ein Reizwort, darum antworte ich „Redakteur in einem Verlag.“ Der Herr am Tisch reicht mir das Blatt Papier. „Schreiben Sie dessen Namen auf!“ Was bleibt mir anderes übrig. Die Dienste haben alle Zeit der Welt. „So, so. Okay.“

Nach abermals einer Stunde des Wartens ruft mich ein untersetzter Grenzbeamter auf. Auf Grundlage des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern in der Republik Belarus, Artikel 30, so teilt er mir nicht unfreundlich mit, wird mir die Einreise verweigert. „Die Fluggesellschaft ist informiert und wird wegen der Umbuchung auf Sie zukommen.“

„Und jetzt geht es in den Gästetrakt! Kommen Sie!“ Eingerahmt von Grenzern mit Schlagstöcken wird unsere Gruppe durch so verschlungene wie verlassene Korridore des Flughafens geführt. Hinter einer Tür mit der Aufschrift „Unbefugten Zutritt verboten“ werden Männer und Frauen getrennt. In einem halbleeren Saal fällt hinter mir die Stahltür ins Schloß. Eine Reihe Stühle, fünf Sofas. Die mannshohen Fenster gehen aufs Rollfeld. An der Decke eine 360-Grad-Kamera. Ungemütlich.

Ein Este teilt Schokolade, ein Tunesier telefoniert

Später am Abend kommt noch einmal ein Schwung Herausgefilterter dazu. Den warmen Imbiß haben sie verpaßt. Mit einem Kollegen aus Warschau ist schnell Freundschaft geschlossen. Ein Mann aus Estland, der aussieht wie der junge Boris Grebenschtschikow von der Kultband Akwarium, bietet von sich aus Schokolade an. Der Kollege von der Deutschen Welle hat enorme Landeskenntnisse und erzählt faszinierend von früher. Der Kniff, sich als lediglich „technischer Mitarbeiter“ auszugeben, verfing bei der Kontrolle leider nicht. Das Neonlicht brennt unentwegt.

Ein Mann aus Tunesien telefoniert abendfüllend auf französisch. Ein Pakistani legt sein Handtuch auf den Boden gen Mekka, verrichtet mit finsterer Miene Gebete. Ein junger Bangladeschi im Sporttrikot erzählt, seit zehn Tagen würde er in diesem Raum festgehalten. Immerhin habe er duschen können. Auf dem Flugfeld rangiert nachts eine einzelne Maschine. Das Fernsehen zeigt Lukaschenko-Reden rauf und runter.
Zwei Angestellte der staatlichen Fluggesellschaft Belavia erscheinen am Vormittag des nächsten Tages und notieren sachlich, wer wohin zurückfliegt. Wessen Zwangs-Rückflug teurer ist als gebucht, muß dazubezahlen. Mit den Polen lasse ich mich nach Warschau schicken.

Nach 22 Stunden Eingesperrtsein führen zwei blutjunge Grenzer uns hinaus. Der Ranghöhere weist den jüngeren an: „Geh du vor!“ Vom Transferbus aus sieht man eine Aufschrift am Empfangsterminal „Herzlich willkommen in Belarus“. Danke! Direkt neben den Uniformierten steht ein junger Mitreisender, am Handgelenk ein breites weißrotweißes Schweißband, Zeichen der Freiheitsbewegung. Die Grenzer geleiten uns bis auf die obere Plattform der Gangway, erst da gibt es die Reisepässe zurück. Die Stewardessen von Belavia begrüßen uns mitfühlend: „Ach, hat es nicht geklappt!“

Am Sonntag nach der vereitelten Reportage erlebt das Land die größten Demonstrationen seiner Geschichte. Allein in Minsk zählen Korrespondenten um die 200.000 Menschen, die gegen Diktatur und Gewalt auf die Straße gehen. Das Staatsfernsehen veröffentlicht bizarre Aufnahmen: Lukaschenko fliegt, mit einem Gewehr bewaffnet und in kugelsicherer Weste, in einem Regierungshubschrauber über dem Zentrum von Minsk. Beim Blick auf das protestierende Staatsvolk, das ihn angeblich zu 80 Prozent gewählt hat, entfährt es ihm böse: „Wie die Ratten laufen sie!“