© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis März 2021?
Politisches Überleben

Wie lange dürfen Firmen dahinsiechen, ohne ihr baldiges Ableben kundzutun? Und unter welchen Umständen? Darum geht es bei der geplanten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis März 2021. Das Ziel ist, gesunde Unternehmen zu erhalten und eine „Corona-Vermutung“ einzuführen, falls sie noch Ende 2019 zahlungsfähig waren – das ist begrüßenswert. Sicherlich gibt es technische Gründe für die Verlängerung, etwa den Bearbeitungsstau bei Insolvenz- und Sanierungsfachkräften. Je länger jedoch die Insolvenzmeldepflicht hinausgezögert wird, desto fragwürdiger wird es.

Es wird nämlich im Zeitverlauf immer schwieriger zu entscheiden, ob Unternehmen mit oder an Corona erkrankt sind. In einer komplexen Welt gibt es dermaßen viele Liefer-, Kunden- und Finanzbeziehungen, daß eine Störung immer schwerer den Pandemiemaßnahmen zugeordnet werden kann. Bleibt etwa die Zahlung eines Großkunden aus den USA aus: ist das dann wegen Corona, oder wäre dieser Kunde ohnehin zahlungsunfähig geworden?

Außerdem droht eine Vermischung der Begriffe: Überschuldung weist lediglich auf einen zu hohen Fremdkapitalanteil in der Bilanz hin, was sicherlich das Insolvenzrisiko erhöht. Doch dann stellt sich die Frage, warum zu Boom-Zeiten keine ausreichenden Rücklagen gebildet wurden, um das Eigenkapital zu stärken. Warum sollen solche Betriebe per Gesetz gegenüber ihren Konkurrenten begünstigt werden? Die Befürchtung, es könnten strukturell insolvente Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden, quasi als „Zombies“ am Markt verbleiben, ist nicht von der Hand zu weisen.

Dabei gehört das Ausscheiden von nicht wettbewerbsfähigen Anbietern zu den Grundmechanismen in der Marktwirtschaft. Wird dies außer Kraft gesetzt, leiden Innovation und Effizienz. Noch schwerer dürfte der Verlust an Transparenz und Vertrauen wiegen. Geschäftspartner könnten existenzschädigende Verluste erleiden, da sie zu Unrecht auf die Zahlungsfähigkeit ihrer Geschäftspartner vertrauen; gesunden Firmen könnten Geschäftsbeziehungen und Kredite verweigert werden, weil sie nicht von den Zombies unterschieden werden können.

Wenn trotz der üppigen Staatshilfen eine Insolvenzwelle droht, dann zeigt das, daß die staatlichen Gelder entweder zu gering ausfielen, zu bürokratisch waren, oder wohl einseitig die Großunternehmen begünstigten – auf Kosten des Mittelstandes. Dann gewinnt man aber keine Wahlen. Allein um das Versagen der Regierung zu verschleiern, wird es zur Verlängerung der Insolvenzantragspflicht kommen. Die wankende Wirtschaft, ob mit oder ohne Corona, muß künstlich beatmet werden, will man den eigenen politischen Kollaps noch abwenden.



Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.