© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Das Orakel von Nebraska
Finanzmarkt: Die teuerste Aktie der Welt / Investorenlegende Warren Buffett wird 90
Thomas Kirchner


Vorige Woche kletterte der Aktienkurs von Apple von 390 auf über 420 Dollar – der kalifornische iPhone-Konzern war damit erstmals zwei Billionen Dollar wert und so das teuerste Unternehmen der Welt. Vor zwei Jahren lag die Marktkapitalisierung noch bei einer Billion Dollar. Das dürfte ein schönes Geburtstagsgeschenk für einen hemdsärmligen Mann aus Omaha sein, einer am Missouri gelegenen 478.000-Einwohner-Stadt im Präriestaat Nebraska, in dem Donald Trump mit 58,7 Prozent gewählt wurde: Warren Buffett wird nämlich am 30. August 90 Jahre alt, und seine Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway ist Apples Großaktionär.
Als er 2016 bei Apple einstieg, lag der Kurs noch unter 100 Dollar. Und die Investition erwies sich aus einem weiteren Grund als goldrichtig: Apple erzielte 2019 mit einem Umsatz von nur 260 Milliarden Dollar einen Jahresüberschuß von 55,3 Milliarden Dollar. Mit ähnlichen Investitionen schaffte es Buffett, zum derzeit viertreichsten Mann der Welt zu werden: Laut dem US-Magazin Forbes summiert sich sein Vermögen auf 67,5 Milliarden Dollar – das ist mehr als doppelt soviel wie die Aldi-Süd-Erben ihr eigen nennen.

Eine Berkshire Hathaway Aktie für 311.126 Dollar

Mit etwa 137 Milliarden Dollar hält Buffetts Firmen-Konglomerat Berkshire Hathaway mehr Barreserven als die Google-Mutter Alphabet (121 Milliarden), allerdings weit weniger als Apple (193 Milliarden). Dennoch ist Buffett in einem Punkt unangefochtener Weltmeister: Die nie gesplittete „Berkshire Hathaway Class A“ (BRK-A) ist mit einem Stückpreis von 311.126 Dollar (Kurs vom 21. August) die mit Abstand teuerste Aktie der Welt. Die teuerste Einzelaktie Deutschlands – die des Zoologischen Gartens Berlin – mit 8.700 Euro oder das Schweizer Schokoladenpapier Lindt & Sprüngli mit 7.655 Franken nehmen sich dagegen bescheiden aus.

Doch sechsstellige Preise sind nichts für Kleinanleger. Daher etablierte Buffett 1996 „Berkshire Hathaway Class B“-Aktien (BRK-B), die mit derzeit 207 Dollar – und entsprechend geringeren Stimmrechten – für Kleinanleger erschwinglich sind. Aber die Buffett-Aktien machen keinesfalls schnell unglaublich reich, denn wenn etwa 40 Prozent der Anlagesumme in kurzfristigen US-Staatsanleihen bei Zinsen nahe null investiert sind, springt für BRK-Aktionäre keine Apple-Rendite heraus.
Dementsprechend schwach war der BRK-Börsenkurs in den vergangenen zehn Jahren: Etwa zehn Prozentpunkte weniger als der S&P-500-Index ist die legendäre Buffett-Aktie gestiegen. Seinen Ruf als Starinvestor verdankt Buffett den 1960er bis 1980er Jahren, als Berkshire Hathaway pro Jahr 20 Prozentpunkte besser abschnitt als der S&P 500. Seit den 1990er Jahren liegt der Renditeunterschied nur noch im niedrigen einstelligen Bereich. Seine besten Jahre waren die 1980er, das Jahrzehnt, in dem er Durchschnittsrenditen von 39 Prozent pro Jahr realisierte.

Auch seine in Deutschland kaum bekannte Heimatstadt Omaha, wo er als Sohn des Wertpapiermaklers und republikanischen Kongreßabgeordneten Howard Buffett geboren wurde, brachte im 20. Jahrhundert zahlreiche Berühmtheiten hervor: von Fred Astaire, Marlon Brando, Henry und Peter Fonda über US-Präsident Gerald Ford, „In-A-Gadda-Da-Vida“-Komponist Doug Ingle (Iron Butterfly) und Drummer Buddy Miles bis hin zum schwarzen Aktivisten Malcolm X. Buffett zeigte sich hingegen schon früh unternehmerisch: Neben dem Verkauf von Cola und Kaugummis trug er Zeitungen aus und plazierte Automaten in Frisörsalons – ein Unternehmen, das er noch als Schüler verkaufte.
Buffett studierte später unter anderem an der New Yorker Columbia-Universität bei Benjamin Graham, dem Urgestein der wertorientierten Kapitalanlage. Er gilt heute als sein erfolgreichster Schüler in der Umsetzung der Theorie in die Praxis. Graham berechnet einen grundlegenden Unternehmenswert unabhängig vom Aktienkurs. Investiert wird nur, wenn der Aktienkurs unter dem berechneten Wert liegt. Nach diesem Prinzip verwaltete Buffett mehrere Anlagegesellschaften, als er 1961 auf die Aktie der Textilfabrik Berkshire Hathaway stieß und 1965 die Kontrolle über die Firma übernahm.

Autoversicherer, Coca-Cola und nun Goldminenaktien

Eigentlich eine Fehlinvestion, wie sich bald herausstellte, doch er hatte auch die Government Employees Insurance Company (Geico) – heute der zweitgrößte US-Autoversicherer – übernommen, deren Gewinne bis heute den Grundstock seines Imperiums stellen. Weitere Zukäufe wie Coca-Cola, die Versicherung General Re (1998, Käufer der Kölnischen Rück) oder die Bahngesellschaft Burlington Northern Santa Fe (2007) folgen dem gleichen wert-orientierten Muster. Buffett investiert nur in Unternehmen, deren Geschäftsmodell er versteht – deswegen das lange Zögern selbst bei Apple.

Etwa 40.000 Anleger aus aller Welt besuchen jedes Jahr die BRK-Hauptversammlung, das „Woodstock für Kapitalisten“, auf dem Fans dem „Orakel von Omaha“ huldigen. Buffett wohnt noch immer in seiner 1958 gekauften Villa, der Großteil seines Vermögens soll an die Bill & Melinda Gates Foundation und vier Familienstiftungen gehen. Als BRK-Chef verdient er nur 100.000 Dollar im Jahr. Daß er davon nicht den Privatjet zum Bridgespielen mit seinem Freund Bill Gates oder seine Strandvilla in Kalifornien bezahlen kann, ist aber auch klar. Zu Bush- und Obama-Zeiten empfahl Buffett höhere Steuern für Wohlhabende, doch auch an Trumps Steuersenkungen hatte er nichts auszusetzen. Derivate nennt er „finanzielle Massenvernichtungswaffen“, dennoch investierte er 2018 vier Milliarden Dollar in den US-Derivatenkönig, die Investmentbank JP Morgan.

In der Finanzkrise rettete er die Investmentbank Goldman Sachs mit fünf Milliarden Dollar – dafür erhielt er Vorzugsaktien mit zehn Prozent Dividende und Wandelrecht in normale Goldman-Aktien. In der Corona-Krise liquidierte er Airline-Aktien und die Goldman-Papiere, stockte seine Bank-of-America-Anteile auf. Und: Der einstige Edelmetall-Verächter stieg beim weltgrößten Förderer, dem kanadischen Minenkonzern Barrick Gold, ein.
Daß Buffett auch für fünf Milliarden Dollar BRK-Aktien zurückkaufte, ist ein Zeichen dafür, daß er keine guten Anlagen mehr findet. Und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Berkshire Hathaway zum zweiten Mal in seiner Unternehmensgeschichte eine Dividende ausschütten wird – die erste und bisher einzige wurde 1967 in Höhe von zehn Cent gezahlt.

 www.berkshirehathaway.com