© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Weniger über den Wolken
Luftfahrt-Krise: Piloten sorgen sich um ihre Zukunft / Durchhalten bis 2023?
Fabian Schmidt-Ahmad


Den Blick in die Ferne gerichtet, während Europa und ferne Länder unter einem hinweggleiten. Dazu ein krisenfester Arbeitsplatz – bis Februar galt der Berufspilot als Traumjob schlechthin. Doch mit der schweren Luftfahrtkrise ist der Glanz dahin. In diesen Tagen erleben viele Piloten eine neue Erfahrung – den Gang zum Arbeitsamt. Statt Freiheit über den Wolken, wie sie Reinhard Mey 1974 besang, herrschen nun große Sorgen und pure Existenzangst. Europaweit sind 15.000 Piloten entlassen worden oder davon bedroht, schätzt die European Cockpit Association (ECA).

Zwar kam es auch zu Entlassungen, als Air Berlin, Malev, Pan Am, Sabena oder TWA in die Pleite rutschten, doch hatten deren Piloten wenig Mühe, eine neue Stelle zu bekommen. Zu wertvoll war für Fluggesellschaften ihre Musterberechtigung, das „Type Rating“, ein bestimmtes Boeing- oder Airbus-Flugzeug fliegen zu dürfen. Doch nun erwägen selbst nationale Marktführer wie British Airways, Lufthansa, SAS, KLM oder Easyjet und Ryanair einen massiven Stellenabbau. Alleine bei Lufthansa sind 800 von 5.000 Cockpitplätzen bedroht.

Piloten in der Ausbildung trifft es besonders hart. Es ist gerade einmal ein Jahr her, da freute sich ein Berufsanfänger bei der Lufthansa über ein Einstiegsgehalt von rund 65.000 Euro plus Zulagen. Und wenn er nach einigen Jahren auf den Kapitänssitz wechselte, konnte er bisher von einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen um 180.000 Euro ausgehen. Solche Gehälter dürften jetzt auf lange Zeit nicht zu erzielen sein. Doch viele Pilotenschüler haben sich für ihre teure Ausbildung verschuldet, die leicht über 100.000 Euro kosten kann.

Ein Brandbrief aus der Lufthansa-Flugschule in Bremen vom Juli zeigt, wie tief der Frust sitzt. Nicht nur wurde der Lehrbetrieb für die Dauer der Corona-Maßnahmen eingestellt. Auch für die Zukunft müssen sich die angehenden Piloten, die zuvor in einem strengen Auswahlverfahren Tausende von Mitbewerbern hinter sich gelassen hatten, fragen, ob sie vor verschlossenen Türen stehen werden. Es brauche ein „Umfeld, das junge Menschen inspiriert, sie fördert und worüber sie gerne und gut sprechen“, heißt es in dem Brandbief.

Droht ein Rekordverlust von 84 Milliarden Dollar?

Doch davon ist derzeit wenig zu spüren. Jetzt kämpft jeder um sein eigenes Überleben (JF 22/20). Glück hat, wer groß ist. Diese Fluggesellschaften sichern ihre laufenden Kosten durch staatliche Hilfen ab. Allein die USA vergeben an ihre Airlines 25 Milliarden Dollar an direkter Hilfe für Gehaltszahlungen, weitere 25 Milliarden sind im Gespräch. Hinzu kommen noch 25 Milliarden an Krediten. Auch europäische Staaten versuchen mit einer Mischung an Krediten und Beihilfen zu retten, was zu retten ist.
Frankreich und die Niederlande stützen mit 10,4 Milliarden Euro das Konsortium Air France-KLM, Deutschland schüttet mit anderen Geberländern neun Milliarden Euro an die Lufthansa aus, Italien wird mit drei Milliarden Euro die Alitalia wieder verstaatlichen. Die International Airlines Group (British Airways/Iberia/Aer Lingus) erhält zunächst 1,3 Milliarden Euro. Zusätzlich bekommen von Großbritannien Ryanair und Easyjet 670 Millionen und Wizzair (Ungarn) 344 Millionen Euro.
Im hohen Norden sieht es nicht anders aus. Dänemark und Schweden einigten sich auf einen 1,4-Milliarden-Euro-Kredit für die SAS, Finnland unterstützt Finnair mit 826 Millionen Euro. Zwar keine Passagiere, doch viel Geld in Bewegung. Und das wird auch erst einmal so bleiben. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) hat nun die Zahlen für das erste Halbjahr 2020 vorgelegt. Sie zeigen einen dramatischen Einbruch bei den beförderten Passagieren auf ein Drittel im Vergleich zu 2019.
Historischer Tiefpunkt war der April mit minus 94 Prozent weniger Fluggästen. Mai und Juni deuteten mit minus 91 beziehungsweise minus 87 Prozent zwar eine langsame Erholung an, doch die Lage ist weiter dramatisch: Anfang August starteten laut dem britischen Reisestatistikdienst OAG weltweit knapp 415.000 Flugzeuge. Ein Jahr zuvor waren es fast doppelt so viele gewesen. Nur in China gibt es bislang Lichtblicke.
Die Luftverkehrsvereinigung IATA rechnet mit einem branchenweiten Rekordverlust von 84 Milliarden Dollar. Zur Erinnerung: In den vergangenen fünf Jahren erzielte die Branche einen jährlichen Nettogewinn von über 20 Milliarden Dollar. Vielleicht werde man 2023 wieder dort angekommen sein, hofft die IATA. Bis dahin heißt es durchhalten.

 www.bdl.aero/de/publikation/bericht-zur-lage-der-branche