© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/20 / 28. August 2020

Eine klare Benennung gescheut
EU-Urheberrechtsnovelle: Das Justizministerium arbeitet an der nationalen Umsetzung
Ronald Berthold


Vor anderthalb Jahren gingen Zehntausende Menschen auf die Straßen, um gegen die EU-Urheberrechtsnovelle zu demonstrieren. Auch im Netz erhob sich ein Sturm der Entrüstung – vor allem gegen die sogenannten Upload-Filter, die einer Zensur gleichkämen. Jetzt geht das von Christine Lambrecht (SPD) geführte Bundesjustizministerium an die Umsetzung in nationales Recht. Rund 100 Stellungnahmen zum entsprechenden, Ende Juni veröffentlichten Diskussionsentwurf eines  „Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes“ (UrhDaG-E) sind dort eingegangen. Neben Lob bleibt die Kritik an dem Vorhaben dominierend – vor allem bei Nutzern.

So bemängelt der Internetkonzern Google mit der dazugehörigen Videoplattform Youtube, daß das geplante Markieren von Inhalten im Hochladevorgang als erlaubte Nutzung („Pre-Flagging“) „die Rolle der Gerichte“ untergrabe. Es setze die Unternehmen einer „größeren Rechtsunsicherheit aus und ist in großem Maßstab nicht operabel“. Die Nutzer könnten ebenfalls nicht immer wissen, ob ihr hochgeladener Inhalt „einem oder mehreren automatisiert geltend gemachten Urheberrechtsansprüchen unterliegt“. Die Betreiber würden auf diese Weise in die Rolle eines Richters gedrängt. Obwohl sie diese nicht ausfüllen könnten, müßten sie aber für ihre Entscheidung haften. Dies würde die Unternehmen nach eigenen Worten dazu verführen, möglichst viele Inhalte zu blockieren.

Nutzer sollen sich beschweren können

Diese potentielle Vorab-Zensur im Internet hatte nach der Abstimmung im EU-Parlament zu riesigem Protest geführt. Kritik kam von rechts bis links. Die Upload-Filter wurden von allen Seiten als „Zensurmaschinen“ bezeichnet. Denn es gibt ein enormes Problem mit der Künstlichen Intelligenz: Roboter kennen weder Satire noch das Zitatrecht. Selbst rechtlich völlig saubere Beiträge könnten damit nicht mehr veröffentlicht werden. Auch für sogenannte Memes, Fotomontagen mit oft bissigen Sprüchen, käme, so die Befürchtung, unweigerlich das Aus.

Offenbar ist die Bundesregierung zumindest aus Sicht von Google und Youtube einen Schritt weitergekommen. Denn diese loben eine „umfassende und in vielerlei Hinsicht mutige Umsetzung“ der EU-Vorgaben in der Gesetzesinitiative. Zufriedenheit der Netz-Giganten bedeutet im Umkehrschluß eine Einschränkung der Nutzungsfreiheit für die User.

Hintergrund: Laut Artikel 17 der EU-Richtlinie sollen nicht mehr die Nutzer, sondern die Betreiber digitaler Online-Plattformen für von Usern hochgeladene Filme, Fotos, Audios und Texte verantwortlich sein. Damit haften sie für deren urheberrechtliche Verstöße. Es sei denn, und hier liegt der Knackpunkt, sie unternehmen besondere „Anstrengungen“, um illegale Inhalte zu vermeiden. Gemeint sind damit Upload-Filter, allerdings drücken sich die Regierungsverantwortlichen davor, dies klar zu benennen.

Die US-Giganten loben die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nun für deren „differenzierte Überlegungen, wie einerseits ein übermäßiges Blockieren von Inhalten“ durch automatisierte Filter am besten zu verhindern sei, „während gleichzeitig eine unzumutbare Belastung von Online-Diensten vermieden sowie der Schutz der Interessen der Rechteinhaber gewährleistet werden können“. Außen vor bei dieser Freude bleiben die Menschen, die Inhalte hochladen wollen. Diese können jedoch Beschwerde gegen Sperrungen einreichen, über die dann innerhalb einer Woche unparteiische „natürliche Personen“ entscheiden sollen.

Die beiden Unternehmen sind auch glücklich darüber, daß sie nicht verpflichtet werden sollen, sich für den Erwerb von Lizenzen proaktiv an alle möglichen Rechteinhaber zu wenden, sondern nur an Verwertungsgesellschaften. Diese hatten die Urheberrechts-Novelle gefordert und von Anfang an begrüßt. Denn sie wollen, daß Künstler und Journalisten mehr Geld für die Verbreitung ihrer Inhalte im Internet bekommen. So sieht die Musikverwertungs-Gesellschaft Gema im Entwurf der Bundesregierung einen „ambitionierten Versuch, eine Vielzahl von anstehenden Regelungsvorhaben in eine konsistente Form zu bringen“. Die Interessen „von Kreativen, Verbrauchern und kommerziellen Rechtenutzern“ würden ausbalanciert. Die Gema kritisiert jedoch, daß Gerichten bei ihren Entscheidungen „nur die Schwarz-Weiß-Entscheidung zwischen der vollständigen Vergütungs- und Nutzungsfreiheit einerseits und dem vollen Exklusivrecht andererseits“ bleibe.

Vor zu vielen Rechten für die US-Internetunternehmen warnt dagegen ausdrücklich der Deutsche Anwaltverein. Denn Google und Co. könnten „den wirtschaftlichen Wert einer urheberrechtlichen Leistung untergraben“. Die Juristen fordern ebenfalls, Ansprüche auf „Sperrung“ und „Löschung“ aus der EU-Richtlinie auf keinen Fall zu übernehmen. Beides sei hierzulande durch den „Beseitigungsanspruch“ bereits geregelt.
Bis Juni 2021 hat der deutsche Gesetzgeber noch Zeit, die neue Richtlinie der EU (2019/790) zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (Digital Single Market, DSM-RL) in nationales Recht umzusetzen.