© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Der Riß in den USA läuft weniger zwischen den Hautfarben
Die verdeckte Spaltung
Jörg Sobolewski

Wer nach bedeutsamen Jahren für das Zusammenleben von Schwarz und Weiß in den USA sucht, wird schnell fündig: Vor 200 Jahren wurde die Sklaverei auf den Westen der USA ausgeweitet. Vor hundert Jahren starben drei Schwarze, nachdem ein Mob sie fälschlich der Vergewaltigung einer Weißen beschuldigt hatte. Doch der schiefe Fokus auf schlechte Erinnerungen läßt die Erfolge, die zur politischen Gleichstellung aller im Land geführt haben, außer acht. Die Sklaverei in den Südstaaten wurde vor 155 Jahren abgeschafft, die drei schwarzen Opfer des Lynchmords 2003 rehabilitiert. Für eine Weile schien es, als hätte der amerikanische Traum gesiegt – als könnten alle „am Tisch der Brüderlichkeit“ sitzen, wie es Martin Luther King formulierte.

Doch stattdessen stehen die USA vor einem Bürgerkrieg. Der Auslöser: angeblich rassistische Polizeigewalt. Wer aber hinter die Kulissen schaut, sieht ein Land, in dem die Bruchlinien seltener entlang der Hautfarbe verlaufen, als man es glauben mag. Tatsächlich streiten sich hier zwei Lager um Geschichte und Gegenwart. Auf der einen Seite die, die die USA als Leuchtfeuer der Freiheit und des Kapitalismus behalten wollen. Auf der anderen Seite die, die einen Umbau der Gesellschaft hin zu Gleichheit und Sozialismus anstreben.

Unversöhnlich geben sich beide Seiten, Grautöne und Mittler zwischen den Lagern sind längst vergrault und ohnmächtig taumelt das Land einem Blutbad entgegen. Von den Mächtigen im Land hat niemand mehr Kraft oder Interesse, dasselbe abzuwenden.