© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Fällt das Netz aus, wird es teuer
Digitalisierung: Internetanbieter wollen selten für Störungen zahlen / Welche Chancen haben die betroffenen Unternehmen und Privatleute?
Markus Oberhaus

Seit Beginn der Corona-Pandemie zieht sich der Begriff „Homeoffice“ wie ein roter Faden durch die Medienlandschaft. Schon im April kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an, daß er bis Herbst für bestimmte Berufsgruppen sogar ein „Recht auf Homeoffice“ auf den Weg bringen wolle. Was nicht nur bei skeptischen Arbeitgebern, sondern auch beim DGB auf Sorgen stieß: Entscheidend sei, daß die Arbeitszeit vollständig vergütet und „das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit eingehalten wird“. Aufgrund des Lockdowns saßen Mitte März 2020 ungefähr die Hälfte der Berufstätigen ganz oder zumindest zum Teil am heimischen Rechner, soweit ihre Tätigkeit dies zuließ. Vor dem Ausbruch der Pandemie erlaubten das nur 39 Prozent der Firmen.

In den Großstädten gibt es in der Regel je zwei unabhängige Festnetze (Telekom und Vodafone) und je drei technisch getrennte Mobilfunkanbieter, doch im Hinblick auf den unzureichenden Netzausbau und bestehende Funk­löcher gerade im ländlichen Bereich stellt sich die Frage, wer zahlt, wenn das Internet und Telefon ausfallen?

Ein Netzausfall ist für Privatpersonen lästig und für Arbeitnehmer unangenehm, doch eine längere Verbindungsunterbrechung kann für Selbständige und Unternehmer schnell existenzbedrohend werden. Denn wer für die anderen Firmenstandorte, die Kunden oder Interessenten nicht erreichbar ist, hat in dieser immer schneller werdenden Zeit einen erheblichen Wettbewerbsnachteil – ganz unabhängig von Corona.

Die rechtliche Lage ist nur scheinbar unzweideutig

Bereits 2013 urteilte der Bundesgerichtshof (BGH), daß Internetnutzern ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, sollte ihr Anschluß ausfallen. In diesem Urteil betont der Gerichtshof die zentrale Rolle des Internets für die private Lebensführung. Aus diesem Grund wurde Geschädigten auch ohne Nachweispflicht ein Schadensersatzanspruch zugesprochen. Gleiches gilt auch, sollte der Telefonanschluß ausfallen. Laut BGH sei die Nutzbarkeit des Internets ein Wirtschaftsgut, das auch im privaten Bereich für den eigenen wirtschaftlichen Lebenserhalt von zentraler Bedeutung ist. Wenn das Internet einmal ausfällt, sei dies vergleichbar mit dem Wegfall eines Pkws, für den es auch einen Nutzungsausfallschaden geben kann. Somit ist es ständige Rechtsprechung des BGH, daß hier ohne Nachweis ein Schadensersatzanspruch, gegen Anbieter wie etwa die Telekom oder Vodafone, geltend gemacht werden kann.

Geschädigte sollten sich jedoch nicht zu früh freuen. Der BGH begrenzte den Schadensersatzanspruch für einen Nutzungsausfall auf den Betrag, den ein vergleichbarer Anbieter auf dem Markt verlangt. Das sind etwa ein Euro pro Tag, womit sich ein Klageverfahren, selbst bei längerem Ausfall, nicht lohnen wird.

Schäden, die darüber hinaus entstanden sind, etwa für die Erstellung neuer Geschäftspapiere, Umsatzeinbußen, Rechnungen für Techniker oder Mehrkosten für Mobilfunkverbindungen können ebenfalls vom Internetanbieter verlangt werden. Solche Folgeschäden im Zusammenhang mit einer Störung müssen jedoch belegt werden, etwa durch Vorlage der entsprechenden Rechnungen. Hinzu kommt, daß etwa die Telekom im Störungsfall Alternativen wie etwa einen „Schnellstartrouter“ oder einen Surfstick kostenfrei bereitstellten, um den Schaden für die Betroffenen gering zu halten. Daß dies jedoch meist mit Verharren in der Warteschleife und mit langen Telefonaten einhergeht und man die Ausgleichstechnik, gerade im ländlichen Bereich, nicht direkt im nächsten Shop erhält, bleibt dabei jedoch unberücksichtigt. Ebenso wurden immer wieder Beschwerden laut, daß Kunden von ihrem Internetanbieter geraten bekamen, einen Tarifwechsel samt einem neuen Router in Erwägung zu ziehen, um zukünftige Störungen zu vermeiden, obwohl dies meist nicht notwendig war. Daß diese Praktiken nicht nur verbraucherunfreundlich, sondern manchmal auch strafbar sind, wird dabei von einigen Anbietern ignoriert.

Sind 263 Stunden Ausfall pro Jahr hinzunehmen?

Übrigens: Für ein ausgefallenes Faxgerät gibt es keinen Schadensersatz. Gleiches gilt, wenn der Festnetzanschluß ausfällt, soweit man den Ausfall mit einem Mobilfunkgerät ausreichend kompensieren kann. Ebenso gibt es auch keinen Schadensersatz für entgangene Freuden im Privatbereich, wenn man keine sozialen Medien oder Film-Streaming nutzen kann.

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der meisten Internetanbieter garantieren zudem keine hundertprozentige Verfügbarkeit. So wird ein gewisser Ausfall der jährlichen Verfügbarkeit für Wartungen oder ähnliches eingeplant. Die Telekom hatte in ihrem BGH-Verfahren etwa in ihren AGB eine 97prozentige Verfügbarkeit angegeben. Diese Klausel scheint auch nach aktueller Rechtsprechung noch rechtlich zulässig zu sein. Das bedeutet: Elf Tage oder 263 Stunden Ausfall pro Jahr sind laut deutschem Marktführer vom Kunden hinzunehmen. Schadensersatzansprüche entstehen somit erst am zwölften Ausfalltag. Was das an wirtschaftlichen Schäden bedeuten könnte, wenn immer mehr Mitarbeiter von zu Hause arbeiten, läßt sich nur schätzen.

Was können nun Unternehmen und Verbraucher bei einem Internetausfall tun. Zunächst ist die Störung bei dem jeweiligen Internetanbieter zu melden. In einem weiteren Schritt ist der Tag und die Dauer der Störung zu dokumentieren und auch Rechnungen für etwaige Reparaturen, Techniker oder Ersatzgeräte, die im Zusammenhang mit der Störung entstanden sind, aufzubewahren und dem Internetanbieter vorzulegen. Sollte dieser sich weigern, die entstandenen Schäden zu ersetzen, bleibt im Zweifel nur noch der Gang zum Rechtsanwalt.