© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Falsche Töne, verlogene Parolen
Literatur: Monika Maron macht sich in ihrem neuen Roman „Artur Lanz“ Gedanken über verlorengegangenen männlichen Heldenmut
Thorsten Hinz

Die Schriftstellerin Monika Maron hat ein Faible für hintersinnige Figuren-Namen. Die Ich-Erzählerin ihres neuen Romans heißt Charlotte Winter. Etymologisch bedeutet Charlotte „die Tüchtige“ oder „die Freie“; der Familienname besagt, daß es sich um eine Dame im fortgeschrittenen Alter handelt, so alt etwa wie die 1941 geborene Autorin. Der Mann, der jeden Tag auf einer Parkbank sitzt, ihre Neugierde weckt und ihr Sohn sein könnte, heißt Artur Lanz, was auf Artus und Lanzelot, die Ritter aus der Artus-Sage, verweist. Die zwei mythischen Gestalten fungieren im Roman als Beispiele verlorengegangenen männlichen Heldenmuts.

Artur Lanz nämlich ist nichts weniger als ein Held. Im Gegenteil, er fühlt sich als Versager, als Schwächling. Seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen, einen Herzinfarkt hat er leidlich überstanden. Lange hatte er geschwankt, seinerseits die Scheidung einzureichen, um seine wirkliche große Liebe zu heiraten, die am ökologischen Forschungsinstitut, in dem er arbeitet, ein Praktikum absolvierte. Aus schlechtem Gewissen den Kindern gegenüber und aus Sorge um die Unterhaltszahlungen hatte er sich für die Ehe entschieden, was seine Frau sowohl mit Genugtuung als auch mit Verachtung quittierte.

Nun aber will er sein Leben ändern. Die innere Kehre kam mit dem spontanen Entschluß, seinen Hund aus einem Rapsfeld zu retten: Eine ironische Variation des Erweckungserlebnisses in Hugo von Hofmannsthals „Chandos-Brief“, über das Monika Maron im Essay-Band „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“ (JF 12/20) reflektiert.

Warum sind die Helden, die Ritter, die Artusse und Lanzelots, verschwunden? Nun, die einstigen Beschützer und Ernährer ihrer Sippe sind heute eingefügt ins „stahlharte Gehäuse“ der modernen Arbeitsteilung, die „den entsagenden Abschied von einer Zeit vollen und schönen Menschentums“ (Max Weber) bedeutet. Oder, wie Michael Klonovsky es im Buch „Der Held. Ein Nachruf“ (JF 36/11) – dem Monika Maron offenkundig zahlreiche Anregungen verdankt – formuliert: Das Betätigungsfeld des ehemaligen Jägers, Sammlers und Kriegers hat sich, unter Verlust des Eros, ins Abstrakte, etwa in die Büroarbeit verflüchtigt. Der moderne Mann erringt seine Siege am Computer, doch das können die Frauen ebenso gut. Der Männlichkeit bleiben Surrogate wie der Abenteuerurlaub, der durch Unfall- und Reiserücktrittsversicherungen flankiert wird.

Die materiellen Veränderungen ziehen geistig-kulturelle Folgen nach sich. Vom hypertrophen Feminismus, welcher der „toxischen Männlichkeit“ den Garaus macht, handelte schon Gisela Elsners galliger Roman „Die Zähmung“ (1984), in dem der Mann zum übergewichtigen, impotenten Neutrum mutiert. Aktuell will der Genderismus das „postheroische Zeitalter“ als anthropologische Tatsache vollenden.

Für Charlotte Winter, aufgewachsen im sozialistischen Osten Berlins, zweimal verheiratet, zweimal geschieden, steht hingegen fest, „daß postheroisch nur ein Synonym für Feigheit war, wie das Wort Mut in dem Wort Zivilcourage untergegangen war“. Feige oder mutig sei man allein, sinniert sie weiter, „postheroisch war das Schicksal unserer Zeit, das man mit allen teilte, wofür man nicht verantwortlich war. Und als Zivilcourage konnte schon gelten, wenn man mit Tausenden anderen auf die Straße ging, um etwas zu fordern, das geltendes Recht war und herrschende Politik und nichts weniger brauchte als Mut.“

Das erweist sich spätestens in der Konfrontation mit Zuwanderern, die diese Schwundstufe der Männlichkeit als Schwäche und Wehrlosigkeit identifizieren. Die wiederum ist politisch gewollt, denn wer sich wehrt, läuft Gefahr, „wegen unangemessener Gewaltanwendung“ zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Erzählerin ist erleichtert, als sie auf dem nächtlichen Heimweg feststellt, daß die Schritte hinter ihr von einem weißen Mann stammen. Ihr schlechtes Gewissen über den vermeintlich rassistischen Gedanken beruhigt sie damit, daß der schwarze US-Bürgerrechtler Jesse Jackson sich in vergleichbarer Situation ähnlich geäußert hat.

Selbst Charlotte kann sich dem Druck der autoaggressiven Ideologie, die das Land beherrscht und als fortschrittlich und menschenfreundlich daherkommt, nicht ganz entziehen. Es bleibt den Angehörigen der Biker- beziehungsweise Rocker-Szene vorbehalten, einen Protestzug von Frauen gegen die zunehmende Straßengewalt vor linken Gegendemonstranten zu schützen. Als diese eine Teilnehmerin bedrängen, genügt ein einziger Biker, der anzeigt, daß mit ihm nicht zu spaßen ist, um die Meute zu zerstreuen. Charlotte: „(...) diese von männlichen Urinstinkten getriebene Aktion gefiel mir.“ 

Unter Hinweis auf Michel Houllebecqs Roman „Unterwerfung“ konstatiert sie, daß ausgerechnet Feministinnen das Kopftuch und sogar die Polygamie verteidigen, „als blickten sie schon demütig ihrer eigenen Zukunft ins Auge“. Die verquere Dialektik erklärt sich aus einer anthropologischen Konstante, der „geheimen Lust an der Unterwerfung“, die sie die eigenen, allzu nachgiebigen Männer verachten läßt.

In Gottfried Kellers Erzählung „Verschiedene Freiheitskämpfer“ heißt es:  „Wenn nämlich ein siegreiches feindliches Heer, eine eingedrungene fremde Völkerschaft das Land besetzt hat, und die eigene Mannschaft flüchtig, versprengt und unterdrückt ist, so dauert es keine Stunde, bis die Mädchen mit den Eingedrungenen Arm in Arm über die Gasse wandeln (…). Doch ist diese Erscheinung nur dort zu beobachten, wenn die Männer sich nicht gewehrt haben, wie sie gesollt, wenn überhaupt kein pflichtgetreuer Widerstand stattgefunden hat.“ Dazu paßt wiederum der Satz aus dem Roman Monika Marons: „Und eine Gesellschaft, die behauptet, postheorisch zu sein, will eben untergehen.“

Die Erzählerin zählt sich ausdrücklich zu den Ostdeutschen, „(deren) Gehör für falsche Töne und verlogene Parolen schon in der Kindheit geschärft worden sei“. Merkels Satz über die „notwendige Transformation aller unserer Lebensumstände“ weckt bei ihr Erinnerungen an Mao, Stalin und Pol Pot. Der west-dominierte Feminismus ist ihr auch deswegen fremd, weil für Frauen in der DDR, die nach Emanzipation strebten, nicht die Männer, sondern der SED-Staat der natürliche Gegner war. 

Das Gegenteil zum schwächlichen „Wessi“ Artur Lanz ist sein Kollege und Freund Gerald Hausschild, ein Thüringer, der physiognomisch Jack Nicholson ähnelt. „Gerald“ geht auf „ger“ (Speer) und „waltan“ (walten, herrschen) zurück; „Hausschild“ drückt den Willen aus, Heim und Herd zu beschützen. Kein Wunder, daß Charlotte ihn sympathischer findet als ihre eifernden Geschlechtsgenossinnen: „Es sind nicht die klügsten oder sympathischsten Frauen, die der Zeitgeist gerade nach oben spült, sagte ich, im Gegenteil, es sind zum Teil garstig Weiber, die es wagen, die intelligentesten und klügsten Männer zu beschimpfen.“

Da ist die ehemalige Hamburger Kultursenatorin Penelope Niemann, die mit Inkompetenz und Unbildung glänzt, aber dank bunter Kleidung und schriller, gefühlsbetonter Auftritte einen „rätselhaften Aufstieg“ erlebte. Wer denkt da nicht sofort an Claudia Roth? Garstig ist auch Franziska Schwarz, die ebenfalls im Öko-Institut arbeitet. Sie hat Gerald, der von der Klima-Ideologie nichts hält, der vor dem „Grünen Reich“ warnt und gegen Windrad-Schneisen durch den Thüringer Wald eintritt, instinktiv als Feind identifiziert. Um ihn als „Rechten“, als „Nazi“ zu überführen, entwickelt sie tschekistische Qualitäten. Sie ist die überzeugte West-Variante einer Stasi-IM.

Denunziatorisch ist auch das Framing einer Rezension der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Ausgabe vom 9. August) zum Roman. Die Schreiberin hält für erwähnenswert, daß Marons eingangs erwähnter Essay-Band im Verlag der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen erschienen ist, die 2017 in einem offenen Brief an den Börsenverein des Buchhandels vor einer „Meinungsdiktatur“ warnte. Es fallen die Namen Kubitschek, Kositza und das Attribut „neurechts“. Die Kontaktschuld- und Verdachtskette wird staatstragend weitergereicht an den Inlandsgeheimdienst (West), der „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ sammelt. Neben ihrer Bösartigkeit leidet die FAZ-Autorin auch an beschränkter Wahrnehmung. Sie belustigt sich nämlich über die von Maron „unterstellte zunehmende Unsicherheit auf den deutschen Straßen“.

Die 2012 suizidierte Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig teilte in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ Fälle „übelster sexueller Erniedrigung“ durch Zuwanderer mit, „in denen die Opfer gleichzeitig orale und anale Penetrationen durch mehrere Täter ertragen mußten, bevor man sie, aus vielen Körperöffnungen blutend, wie einen unnützen Gegenstand zurückließ“. Die Taten würden mit dem Handy gefilmt und wie eine Trophäe vorgeführt, den Opfern durch Todesdrohungen ihr Schweigen abverlangt. Und kein deutscher Artus, Lanzelot oder Siegfried ist in Sicht, der Schutz gewährt oder die geschändete Ehre rächt.

Und Artur Lanz? Er versucht sich zunächst in Krav Maga, einer israelischen Kampfsportart, für die er sich jedoch als zu alt erweist. Er steigt auf Pfefferspray um. Am Ende wächst er doch noch über sich hinaus, als er Gerald Hausschild in einer Institutssitzung zur Seite springt, die von Franziska Schwarz, unterstützt von postheroischen jungen Kollegen, in ein neostalinistisches Tribunal verwandelt wird.

Zugegeben, die Kritik mancher Rezensenten am simplen Zuschnitt der Personen und an thesenhaften Dialogen läßt sich nicht gänzlich von der Hand weisen. Sei’s drum. Der Roman trifft voll ins Grün-Rot-Schwarze dieser Republik. Er thematisiert ihre ideologischen Verspannungen, falschen Selbstbilder und geistige Vermoderung mit einer Deutlichkeit, die in der Gegenwartsliteratur ohne Beispiel ist.

Monika Maron liest erstmals aus ihrem Roman „Artur Lanz“ am 9. September um 20 Uhr im Berliner Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176. Der Eintritt kostet 15 Euro.

Monika Maron: Artur Lanz. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2020, gebunden, 220 Seiten, 24 Euro