© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Unter falscher Identität
Frauenpower: Als Straßenfeger geplant, dann von Corona aus dem Kino gefegt, dient „Mulan“ jetzt als Zugpferd für den Disney-Streamingdienst
Dietmar Mehrens

Daß Hua Mulan (Liu Yifei) nicht ist wie andere Mädchen ihres Alters, zeigt sich früh: Der Versuch, ein ausgebüxtes Huhn wieder einzufangen, gipfelt in einer zirkusreifen artistischen Einlage. Doch Mulans ungewöhnliche Begabung – herangewachsen zur Heiratsfähigkeit zeichnet sie sich vor allem durch Eigenschaften aus, die beim Militär gefragt sind – sorgt für Sorgenfalten auf den Stirnen ihrer Eltern. Eine Tochter soll ihren Eltern schließlich Ehre machen durch weibliche Tugenden, indem sie heiratet, Kinder bekommt, brav und keusch ist, und nicht indem sie sich aufführt wie ein Krieger.

Und damit wären wir bei der ersten wichtigen Botschaft, die diesem Film sein Publikum im Westen sichern soll: Man könnte sie mit den Worten Franziska Giffeys, der deutschen Familienministerin, so formulieren: „Frauen können alles“, vor allem können sie alles, was Männer können, vermutlich sogar besser. Anders als Franziska Giffey ist Mulan allerdings nicht Mitglied der SPD und lebt auch in einem völlig anderen Zeitalter als wir: Damals gab es noch einen Kaiser.

Gemeint ist der Kaiser von China. Als dessen Macht – und die seiner Dynastie – durch finstere Rebellen untergraben und bedroht wird, ergeht ein Erlaß: Jede Familie soll einen Sohn zur Verteidigung des Kaiserreichs abstellen. Da Mulans Eltern nur Töchter haben, greift ihr betagter Vater (Ma Tzi) selbst zu Waffen und Rüstung. Jetzt schlägt Mulans große Stunde. Erst findet sie – kleiner Exkurs in die ostasiatische Esoterik – ihr Qi (Energie), dann kann das Abenteuer beginnen: Das Mädchen stiehlt sich davon und nimmt, getarnt als Soldat, den für ihren Vater vorgesehenen Platz in der kaiserlichen Armee ein.

Der Plot ist Freunden der deutschen Literatur im Kern schon bekannt: Als Gustav Adolfs Page schmuggelte sich in Conrad Ferdinand Meyers gleichnamiger Erzählung eine tapfere junge Frau, als Mann verkleidet, während des Dreißigjährigen Krieges bei den Truppen der Protestantischen Union ein. Anders als der junge Leubelfing in der berühmten Novelle von 1882 entwickelt sich die Hauptfigur der etwa 1.500 Jahre alten chinesischen Ballade von Mulan unter der Regie der Neuseeländerin Niki Caro freilich nicht zu einem unauffälligen Mitläufer, sondern entpuppt sich als Superwoman des wilden Ostens. Nur die magische Macht der Hexe Xian Lang (Gong Li), die dem gegnerischen Lager durch unlautere Kräfte immer wieder Vorteile verschafft, kann sie bremsen.

Disney dient sich dem asiatischen Markt an

Wie Page Leubelfing fällt es auch Mulan nicht ganz leicht, ihr wahres Geschlecht zu verbergen. Wenn beispielsweise der Befehl: „Alle Mann zum Duschen!“ durchs Lager schallt, ist guter Rat teuer. Und daß ihr einer der Kriegskameraden besonders gut gefällt, der tapfere Tung (Donnie Yen), macht es noch mal einige Schwertumdrehungen schwerer, die falsche Identität zu bewahren. Am Ende bedarf es einer geballten Ladung Frauenpower – die Hexe Xian Lang spielt dabei eine Schlüsselrolle –, um das falsche Frauenbild der kriegerischen Männerwelt zu korrigieren und dem Kaiser seinen Thron zu retten. Die selbsternannten Aufständischen sind dabei selbstverständlich die Bösen.

Damit wären wir bei der zweiten wichtigen Botschaft, die dem Film sein Publikum im Osten sichern soll; schließlich wird der umsatzstarke chinesische Filmmarkt auch für das Disney-Imperium immer wichtiger. Die Autorität des Kaisers darf unter keinen Umständen in Frage gestellt werden? So viel konfuzianische Affirmation des Feudalismus kann es im System derjenigen, die den Feudalismus einst bis aufs Messer bekämpft haben, wohl nur geben, wenn im Subtext die Dynastie der KPCh mit ihrem aktuellen Kaiser Xi gemeint ist.

Wie sehr das Disney-Studio hier als Dynastie-Studio agiert und sich Chinas mächtigen Herren mit Film gewordenen Machterhaltungsnarrativen andient, um auf dem riesigen asiatischen Markt dicke Gewinne einstreichen zu können, gehört zu den weniger attraktiven Aspekten von „Mulan“. Daß Hauptdarstellerin Liu Yifei 2019 ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, als sie sich während der Hongkonger Freiheitsdemonstrationen auf die Seite der Polizei stellte, paßt kongenial ins Bild.

Die Neuauflage des Disney-Zeichentrickfilms von 1998 als Realverfilmung ist ein nach allen Regeln der globalen Hochfinanz gestricktes Kommerzprodukt, das der bewährten Regel folgt: Lieber die eigene Großmutter verkaufen, als auf einen stattlichen Gewinn verzichten. Nun hat ein Virus dem Masterplan der Gewinnstrategen einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. In Deutschland ist das bildgewaltige Epos nach mehrfach abgesagtem Kinostart ab 4. September beim Streaming-Dienst Disney Plus im Angebot, der anders als sein Namensvetter RTL Plus leider nicht gebührenfrei ist. Das Unternehmen hofft so auf Amortisation zumindest eines Teils der etwa 200 Millionen Dollar Produktionskosten. Aber wer ist bereit, zusätzlich zu den monatlichen Fixkosten noch einmal 21,99 Euro für den Film zu bezahlen? Ein finanzielles Fiasko kündigt sich an. Am Ende wird sich „Mulans“ Schicksal verdientermaßen in China entscheiden. Dort kommt der optische Leckerbissen ganz regulär ins Kino. 

 https://disney.de/filme/mulan-2020