© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

„Es war eine Verengung der Welt“
Corona-Berichterstattung: Eine Studie der Universität Passau wirft ARD und ZDF einen „Tunnelblick“ vor
Ronald Berthold

Eine Studie von Medienwissenschaftlern der Uni Passau erhebt schwere Vorwürfe gegen ARD und ZDF wegen deren Corona-Berichterstattung. Die Sender verfolgten nicht nur die „Glorifizierung des Virologen Christian Drosten“. Sie verwendeten auch „Inszenierungsstrategien“, „die wir von Hollywood-Blockbustern“ kennen. Die „eigentlich als Dokumentationen gedachten Sendungen würden fast zum fiktionalen Format“.

Die Wissenschaftler Dennis Gräf und Martin Hennig vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft haben mehr als 90 Ausgaben von „ARD Extra“ und „ZDF Spezial“ zwischen Mitte März und Mitte Mai untersucht. Bei der Analyse kam heraus: Die Öffentlich-Rechtlichen haben mit ihren Sondersendungen zur Corona-Pandemie einen „massenmedialen Tunnelblick“ erzeugt. 

„Es war eine Verengung der Welt“, sagte Gräf dem Evangelischen Pressedienst. Die Forscher fordern, daß Journalismus differenzierter sein und Maßnahmen in der Corona-Pandemie auch grundsätzlich hinterfragen müsse. Dies sei in den Beiträgen von ARD und ZDF nicht geschehen. Schon die Häufigkeit der Sondersendungen habe ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt. Die Inhalte und dramatische Szenen hätten dies noch verstärkt. Gräf: „Solche Bilder kennen wir aus Endzeiterzählungen und Zombiegeschichten.“ Sein Kollege Hennig ergänzt: „Immer wieder wurde von Helden des Alltags gesprochen, die ihre Berufsrolle ins Extreme übersteigern, Tag und Nacht für die Gesellschaft da sind und sich im übertragenen Sinne aufopfern für ein höheres Wohl.“ Dazu gehöre auch die „Glorifizierung“ des Virologen Christian Drosten. Die Öffentlich-Rechtlichen konstruierten eigenständige Modelle der Welt, so Hennig, vermittelten gewisse Werte und arbeiteten mit Zuspitzungen.

ARD-Chefredakteur Rainald Becker, der Kritiker der Corona-Maßnahmen in den „Tagesthemen“ als „Spinner“ diffamierte, weist die Vorwürfe der Experten zurück. „Daß das Informationsbedürfnis zur Corona-Pandemie außerordentlich hoch war und ist, belegt nicht zuletzt das große Interesse der Zuschauer an unseren Sendungen zum Thema.“

Das ZDF verteidigt sich gegen die „Tunnelblick“-These. Diese ignoriere, so erklärte ein Sprecher, „daß Corona als dominantes Berichterstattungsthema der vergangenen Monate alle Lebensbereiche prägte und entsprechend umfangreich in den Berichterstatter-Blick geriet.“ Die Art der Sendungen „ist angesichts einer außergewöhnlichen Pandemie-Lage nicht überraschend, sondern sogar Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Informationsangebots“.