© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/20 / 04. September 2020

Als die Pilgerväter kamen
Der Aufbruch der Kolonisten der „Mayflower“ aus England vor 400 Jahren markiert bis heute den Beginn der Kolonisierung der USA
Jan von Flocken

Seit der ersten Atlantiküberquerung durch Christoph Columbus waren zwar 128 Jahre verstrichen, doch die Fahrt über den Ozean in die Neue Welt galt immer noch als erhebliches Wagnis. Vor allem für Zivilisten, denen keinerlei Begleitschiffe Schutz boten.

Die „Mayflower“, eine Dreimastgaleone von 180 Tonnen, knapp 20 Meter lang mit einem Tiefgang von 3,40 Metern, war zwar erst fünf Jahre im Dienst, bot aber den 102 Passagieren und 31 Männern der Besatzung keinerlei Komfort. 66 Tage war man seit der Abfahrt von der englischen Küste unterwegs gewesen. Nun landete die wild entschlossene Schar am Kap Cod, dem äußersten Zipfel des heutigen US-Bundesstaates Massachusetts. Allerdings unfreiwillig, denn die Reise sollte eigentlich nach Virginia gehen, so lautete der Vertrag mit der Londoner Kolonialgesellschaft. Doch ein schwerer Sturm verschlug die Mayflower nach Norden.

Am 6. September 1620 – damals galt in England noch der julianische Kalender, nach gregorianischem wäre es der 16. September gewesen – hatte das Handelsschiff im Hafen von Plymouth die Anker gelichtet. An Bord befanden sich die ersten organisierten Auswanderer – Menschen, die in England von der anglikanischen Staatskirche als Ketzer verfolgt wurden. Sie selbst nannten sich „Separatisten“ und bildeten eine besonders radikale Strömung im englischen Puritanismus. 1608 wanderte eine Gruppe von ihnen unter der Führung der Pastoren John Robinson, William Bradford und William Brewster aus Nottinghamshire in die Niederlande aus und ließ sich in der Stadt Leiden nieder. Dort genossen sie zwar Glaubensfreiheit, durften aber nur niedere Arbeiten verrichten. Deshalb kehrten die meisten Separatisten 1619 vorübergehend nach England zurück. Mit einer Landzuweisung der „London Virginia Company“ versehen, wagten sie den Schritt ins Unbekannte.

An Bord befanden sich aber auch anglikanische Auswanderer, die von den Separatisten mißtrauisch als „Strangers“ (Fremde) bezeichnet wurden. Da der erwähnte Sturm die Landung in Virginia verhindert hatte, das Landpatent aber nur für dieses Territorium Gültigkeit besaß, fürchteten einige Strangers, sie würden in der neuen Kolonie nicht fair behandelt werden. 

Im ersten Jahr starben fast die Hälfte der Kolonisten

Deshalb verfaßten 41 Mitglieder am 11. November 1620 den „Mayflower Compact“, worin festgelegt wurde, daß die Kolonie nach gerechten und für alle Bewohner in gleicher Weise gültigen Gesetzen regiert werden sollte. Man verpflichtete sich darin, „solch gerechte und gleiche Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Verfassungen und Ämter zu verabschieden, begründen und abzufassen, dies von Zeit zu Zeit, so wie es am angemessensten und günstigsten für das Gemeinwohl der Kolonie scheint.“

Es handelte sich also um das früheste Dokument nordamerikanischer Selbstverwaltung, Ausdruck des Willens der Kolonisten, ihr Gemeinwesen mit selbst erlassenen, gerechten und für jedermann gültigen Gesetzen zu ordnen. Ihre Verfasser gaben sich mit einer gehörigen Portion Selbstgerechtigkeit den Namen „Saints“ (Heilige), woraus später die „Pilgrim Fathers“ (Pilgerväter) entstanden. In ihrer Siedlung Plymouth starb im Winter 1620/1621 fast die Hälfte der Kolonisten, obwohl sie von benachbarten Indianern Kleidung und Nahrungsmittel erhielten. Spannungen zwischen Kolonisten und Eingeborenen wurden mit einem Friedensvertrag beigelegt, und gemeinsam feierte man im Oktober 1621 das erste Erntedankfest (Thanksgiving). 

Nachkommen der Pilger-Familien Alden, Bradford, Brewster, Cooke, Eaton, Fuller, Hopkins, Howland, Standish, Tilley und Warren finden sich noch heute überall in den Vereinigten Staaten. Die Abstammung von einem Passagier der „Mayflower“ gilt als besonderes Privileg. Von den Pilgervätern stammen allein sieben US-Präsidenten ab, darunter Franklin D. Roosevelt sowie George Bush Vater und Sohn. Unter den Nachkommen der „Mayflower“-Passagiere finden wir außerdem die Filmschauspieler Clint Eastwood, Richard Gere, Orson Welles und Humphrey Bogart, die Pilotin Amelia Earhard, den Playboy-Herausgeber Hugh Hefner, den Schriftsteller Ralph Waldo Emerson und den Astronauten Alan Shepard, fünfter Mensch auf dem Mond.

Die „Mayflower“ traf am 9. Mai 1621 wieder in England ein. Danach absolvierte sie nur noch zwei Fahrten nach Frankreich und wurde bereits 1624 abgewrackt.