© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Rathäuser räumen
Kommunalwahlen: In Nordrhein-Westfalen steht einigen Städten der Machtwechsel bevor / Klamme Kassen bleiben
Karsten Mark

Die Nachricht macht die Stimmung im Land nicht gerade besser. Eine knappe Woche vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen verkündete das Landesamt für Statistik: In der Corona-Krise sind die Gewerbesteuer-Einnahmen der Kommunen kräftig eingebrochen, im Schnitt um 43,5 Prozent. Insgesamt fehlen etwa anderthalb Milliarden Euro. Damit ist nun endgültig klar: Wohltaten außerhalb der kommunalen Pflichtausgaben wird so gut wie niemand mehr versprechen können im Endspurt vor der Wahl am kommenden Sonntag.

Die besonders klammen Kommunen im Ruhrgebiet fordern einmal mehr eine größere finanzielle Unterstützung von Land und Bund ein. Ihre Hoffnung, wegen er Corona-Krise würden ihnen die teils horrenden Altschulden von den Schultern genommen, haben sich bislang nicht erfüllt. Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD) sind deshalb schon Ende Juni im Stadtrat die Sicherungen durchgebrannt. Im Hinblick auf die Verantwortlichen in Land und Bund drohte er mit bebender Stimme: „Mein Eindruck, ihnen ist es egal, weil sie glauben, daß wir nicht wissen, wo sie wohnen. Aber das ist herauszubekommen.“ In den Ruhr-Nachrichten kam der Hooligan-Jargon des Stadtoberhaupts nicht gut an. Und die AfD sorgte anschließend im Stadtrat für eine Sondersitzung. Der 64jährige Sierau, der nach knapp elf Jahren im Amt nicht mehr zur Wahl antritt, redete sich heraus, er habe niemandem drohen wollen. Seine „Zuspitzung“ sei „an das Fußball-Milieu angelehnt“ gewesen.

Sieraus Amts- und Parteikollege Frank Baranowski in der Heimat des Fußball-Erzrivalen FC Schalke 04, Gelsenkirchen, war nie für krawallige Auftritte bekannt. Jetzt, da er nach 16 Jahren als OB ebenfalls nicht mehr antritt, wirkt er zunehmend nachdenklich und gibt sich bemerkenswert offen. Auf den Bund ist auch er nicht gut zu sprechen: „Nehmen wir die Zuwanderung aus Südosteuropa. Ich sehe, wie diese Migration die Städte und die Stadtgesellschaften besonders im Ruhrgebiet verändert und das gesellschaftliche Klima teilweise vergiftet“, sagte er der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: „Wir als Kommune können das Problem nicht lösen, denn es geht ja um eine Freizügigkeitsregel in Europa. Der Bund ist gefragt, doch dort werden die Probleme in den Kommunen oft einfach nicht wahrgenommen.“

Dazu paßt der Besuch der beiden SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans Ende vergangener Woche an verschiedenen sogenannten „sozialen Brennpunkten“ im Ruhrgebiet. Dieser fand zwar vor Pressevertretern, aber ansonsten unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. „Stell dir vor, die SPD-Spitze kommt nach Herne – und keiner bekommt es mit“, spöttelte die Lokalpresse. Juso-Chef Kevin Kühnert hingegen suchte mit der Gelsenkirchener OB-Kandidatin Karin Welge den „direkten Nahkampf“ mit dem Wahlvolk in Kneipen und auf Einkaufsstraßen. Etwa zeitgleich und nur wenige Kneipen weiter: die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die sich um die – bislang durchweg sehr linke – freie Kulturszene sorgte. Gelsenkirchen sei ja mittlerweile leider eine AfD-Hochburg, sagte Roth und hatte dabei wohl das Ergebnis der Europawahl 2019 vor Augen, als sich die AfD in Gelsenkirchen mit 16,4 Prozent noch vor die Grünen (15,8 Prozent) auf Platz drei schob. Glaubt man den aktuellen Umfragen des WDR, der Wähler in elf großen Städten des Landes befragen ließ, liegt die AfD aktuell allerdings nur noch zwischen vier und acht Prozent – auf insgesamt gleichem Niveau wie die FDP und die Linke. Die Aussagekraft der Umfrage für das gesamte Land ist allerdings sehr begrenzt. „Die Mehrheit der NRW-Bürger“, das räumt auch der WDR ein, „lebt in Kommunen unter 100.000 Einwohnern.“

Die Grünen erreichen unterdessen traumhafte Umfragewerte von bis zu rekordverdächtigen 37 Prozent in Aachen, der Heimatstadt von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). In der einst schwarzen Hochburg lägen sie damit satte elf Punkte vor der Union und bekämen mehr als doppelt so viele Wähler wie die SPD (15 Prozent). Die Grüne Sibylle Keupen hat gute Chancen, als erste ihrer Partei in Aachen das Oberbürgermeister-Amt zu übernehmen.

Auch der Bundesstadt Bonn droht mit prognostizierten 35 Prozent eine deutliche grüne Dominanz im Stadtrat. Das aktuelle Jamaika-Bündnis im Rat bräuchten die Grünen dann wohl nicht mehr. Beim Wettrennen um die Stadtspitze wird eine Stichwahl zwischen dem zur Zeit amtierenden CDU-Mann Ashok Sridharan und der Grünen-Bundestagsabgeordneten Katja Dörner erwartet.

Grün-schwarzer Kandidat hauchdünn vorn

Für die SPD scheinen nur noch Duisburg (35 Prozent) und Dortmund (32 Prozent) sichere Hochburgen zu sein. Für die CDU gibt es noch deutliche Mehrheiten in der Landeshauptstadt Düsseldorf (33 Prozent), in Essen (36 Prozent), Münster (36 Prozent) und Siegen (37 Prozent). Der aktuelle rote Düsseldorfer OB Thomas Geisel muß sich auf eine Stichwahl mit seinem CDU-Herausforderer Stephan Keller einstellen – und sie fürchten. Noch in jüngster Zeit hatte es sich Geisel mit seiner betont autofeindlichen Verkehrspolitik mit vielen Bürgern verscherzt. Relativ sicher im Sattel dürften hingegen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, parteilos aber unterstützt von Grün und Schwarz, sowie der Essener CDU-OB Thomas Kufen sitzen. 

In Wuppertal liefern sich CDU, SPD und Grüne aller Voraussicht nach ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Ratssitze. Der gemeinsame Kandidat von Grünen und CDU, Uwe Schneidewind, liegt in der Umfrage allerdings nur zwei Prozentpunkte vor SPD-Amtsinhaber Andreas Mucke. Der Ökonomie-Professor Schneidewind ist Mitglied der Grünen und war zuvor Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie.