© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Die Steine fliegen weiter
Linksextremismus: In Leipzig kommt es erneut zu tagelangen Ausschreitungen
Paul Leonhard

Die Räumung eines besetzten Hauses in Leipzig hat erneut für Straßenschlachten mit der Polizei gesorgt. Drei Tage herrschte Ausnahmezustand in Teilen der Messestadt. Es wurden Barrikaden errichtet, Mülltonnen angezündet. Es flogen Steine und Pyrotechnik. Der Pilot eines Polizeihubschraubers durch Laser geblendet. Acht Beamte wurden laut Polizeiangaben verletzt. Eine Randale mit Ansage: Die dreitägige, direkt von der Antifa organisierte Veranstaltung „Soziale Kampfbaustelle“ am Wochenende in Connewitz war schon länger angekündigt. Auch für die vom Bündnis „Fight for your Future LE“ (Kämpfe für deine Zukunft) vorbereitete Demonstration „Kämpfe verbinden – Für eine solidarische Nachbar*innenschaft“ wurde schon Tage vor der Räumung des Hauses in der Ludwigstraße mobilisiert.

Auf der Internetseite des Bündnisses hieß es noch am Sonnabend, also nachdem es in der Messestadt bereits zwei Krawallnächte gegeben hatte: „Wenn also Baustellen angegriffen werden, neue Häuser mit Farbe beschmiert, dann sehen wir darin nicht das Werk von gelangweilten Chaot*innen, sondern ein letztes verzweifeltes Aufbäumen all derjenigen, die sich nicht kampflos aus ihrem Kiez verdrängen lassen wollen.“

Tatsächlich sympathisieren große Teile der Connewitzer mit der Protestbewegung gegen die Immobilienspekulation und soziale Verdrängung, allerdings nur solange diese friedlich bleibt. Nach heftigen Ausschreitungen mit verletzten Polizisten Ende Oktober und in der Neujahrsnacht kippt die Stimmung derzeit. Anwohner wollen nicht länger hinnehmen, daß in Teilen der Stadt Linksextremisten die Herrschaft an sich reißen und politisch durchsetzen wollen, daß „polizeifreie Zonen“ entstehen. Die Gewaltorgien der Antifa finden keine Akzeptanz mehr. Das hat selbst die Linkenpolitikerin Jule „Bambule“ Nagel begriffen. Sie beklagte sich auf Twitter darüber, daß die Straßenschlachten mehr gewaltbereite Extremisten anlocken als die Basisarbeit: „Wenn es um konkrete Entmietungen, politisches Ringen um regulierende Instrumente oder politische Aktionen geht, sind leider die meisten, die zum punktuellen Spektakel kommen, um ihren Gewaltfetisch auszuleben, nicht da.“

Zwar verteidigt die Landtagsabgeordnete weiterhin Hausbesetzungen in Leipzig als „soziale Praxis“, bei der es  „um bezahlbare Mieten, Freiräume & Widerstand gegen spekulativen Leerstand“ geht, und fordert deren Entkriminalisierung. Es gebe schließlich „viele Gründe, auf die Straße zu gehen, sich solidarisch mit emanzipatorischen Bewegungen und Kämpfen zu erklären, Neues wie Bewährtes zu probieren und sich dabei nicht einschüchtern zu lassen“. Der Polizei wirft sie bei dieser Gelegenheit vor, „mit einem Einsatzfahrzeug in eine Gruppe Menschen“ gefahren zu sein.

Polizeipräsident fordert         Konsens gegen Gewalt

Während Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU)  – wie nach jedem Bericht über Ausschreitungen in Connewitz – die gezielten Angriffe auf Polizeibeamte als „nicht hinnehmbar“ und „unerträglich“ bezeichnet und härtere Strafen für Angriffe auf die Polizei forderte, benannte Leipzigs neuer Polizeipräsident Torsten Schultze ein grundsätzlicheres Problem: Die von linken Parteien bestimmte Stadtpolitik lasse die Antifa schalten und walten. 

Ohne Rückendeckung durch die Politik und die Stadtgesellschaft könne die Polizei, allein auf sich gestellt, die Probleme an den sozialen Brennpunkten der Stadt nicht lösen. Schultze forderte einen Grundkonsens in der Stadt, der künftig Gewalt ausschließt. Damit greift er ein zentrales Thema des Oberbürgermeisterwahlkampfes von Anfang des Jahres wieder auf, bei dem sowohl das langjährige Stadtoberhaupt Burkhard Jung (SPD) als auch sein letztlich unterlegener Herausforderer, Staatsminister Sebastian Gemkow (CDU), für ein stärkeres Engagement der Leipziger Zivilgesellschaft plädiert hatten. Die müsse deutlich signalisieren, daß sie weder die Gewaltorgien der Antifa akzeptiert, noch von Linksextremisten selbst regierte Kieze, in denen allein schon Streifengänge der Polizei als Provokation gewertet werden.

Längst ist Leipzig, wie es Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) als Reaktion auf die jüngsten Ausschreitungen sagte, zu einem „Versammlungsort von Linksextremisten aus ganz Deutschland“ geworden. Die Zahl der registrieren linksmotivierten Straftaten stieg in der Stadt 2019 gegenüber dem Vorjahr um 135 auf 357. Bei den an den Krawallen Beteiligten handele es sich um „üble Gewalttäter, die sich hinter politischen Forderungen verstecken“, denen es aber nur darum ginge, „zu zerstören und anzugreifen“, sagte Kretschmer. Er hoffe auf eine schnelle Verurteilung der Täter. Die Polizei hat im Zuge der Ermittlungen Wurfgeschosse eingesammelt, um sie auf verwertbare DNA-Spuren zu untersuchen.

Der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel, selbst Polizist, bezeichnet Wöllers Ruf nach Strafverschärfung und Kretschmers Forderung eines Schulterschlusses von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen gegen den zunehmenden Linksextremismus als „Populismus im schlechtesten Sinne“.

Es komme nicht auf neue Paragraphen an, sondern darauf, die bestehenden endlich umzusetzen. Die Polizei müsse Rädelsführer festsetzen und extremistische Strukturen nachhaltig zerschlagen. Auch dürfe die linke Szene nicht länger in den Genuß staatlicher Fördergelder kommen. Verstöße gegen die Maskenpflicht wurden bei den Connewitzer Ausschreitungen übrigens nicht registriert. Daß man sich vor Krawallen vermummt, gehört zum Einmaleins der Straßenguerillas.