© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Rückzieher der Woche
Keinen Millimeter preisgeben
Christian Vollradt

Spätestens seit dem trotzig-entschlossenen Schlachtruf „¡No pasarán! – Sie kommen nicht durch!“, mit dem Dolores Ibarruri, Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei Spaniens, die Arbeiter, Bauern und Antifaschisten 1936 im Bürgerkrieg zur Verteidigung Madrids gegen die Truppen Francos aufgerufen hatte, gilt Standhaftigkeit als linke Tugend. So mag es manche Gefolgsleute der Partei Die Linke irritieren, daß die hessische Fraktionschefin Janine Wissler sich aus zwei innerparteilichen Gruppierungen, der trotzkistischen Organisation „Marx21“ und der „Sozialistischen Linken“ zurückgezogen hat. Beide werden vom Verfassungsschutz beobachtet. „Marx21“ versuche, Einfluß in der Partei zu gewinnen, um eines Tages eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, ist der Inlandsgeheimdienst überzeugt. Außerdem schmiede man in diesem Milieu Bündnisse mit anderen Linksextremen. Ein Urteil des „sogenannten Verfassungsschutzes“ sei für sie „keine Referenz“, hatte Wissler noch im Juni gegenüber der Zeit betont. Nun aber, da die Politikerin aus Hessen als mögliche neue Parteichefin der Linken – und damit als potentielle Koalitionsgesprächspartnerin für Grüne und SPD – gehandelt wird, ist es mit der Prinzipientreue nicht mehr so weit her. Aber Flexibilität ist auch historisch verbürgt. Schließlich kamen „sie“ ja damals in Madrid auch „durch“.