© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Gegen Angriffe und Krawall gewappnet
USA: Die wochenlangen Ausschreitungen veranlassen viele Amerikaner zu Waffenkäufen
Liz Roth

Portland, Seattle, Chicago und jüngst die Stadt Kenosha in Wisconsin gehören zu den vielen Orten, die im Namen von „Black Lives Matter“ eine Welle der Gewalt, Zerstörung und Plünderungen erlebten. Die Bilder zeigen nicht nur Angriffe auf Polizisten oder Brandstiftung von Geschäften und Wohnhäusern, sondern auch Attacken auf einzelne Personen, die sich nicht den Demonstranten beugen. 

Wisconsin: 17jährige dürfen keine Waffen tragen 

In Kenosha beendete die Nationalgarde, die Präsident Donald Trump auf Bitten des Gouverneurs schickte, die brutalen Ausschreitungen Ende August, nachdem die Polizei auch hier die Kontrolle über die Stadt verloren hatte und zwei Aktivisten von einem Teenager erschossen wurden, weil er von ihrem Mob verfolgt und angegriffen wurde. „Dies sind keine Akte des friedlichen Protests, sondern in Wirklichkeit inländischer Terror“, erklärte Trump. 

Kyle Rittenhouse, ein 17jähriger Rettungsschwimmer, und seine Freunde wollten die Stadt eigenmächtig vor den „gefährlichen Verbrechern“ schützen. Sie bewaffneten sich, entfernten Graffitis, löschten Feuer, und ein mittlerweile von Facebook verbotenes Video zeigt, wie er einem verwundeten Aktivisten hilft. 

Dennoch eskalierte die Situation. Rittenhouse erschoß zwei Männer im Handgemenge. Nun wird er des zweifachen Mordes, schwerer Körperverletzung und illegalen Waffenbesitzes angeklagt. Rittenhouse darf aufgrund seines Alters im Staat Wisconsin keine Waffe öffentlich tragen. 

Im Zuge dieser seit Monaten andauernden Ausschreitungen und Konflikte bewaffnen sich die Amerikaner dennoch immer weiter. Laut FBI, das den Hintergrund und das Strafregister jedes Käufers prüft, wurden im August über 1,6 Millionen Waffen legal im Land er-worben. Das ist die höchste Zahl, die je seit Beginn der Überprüfung durch die Behörde 1998 erfaßt wurde. Es ist ein Anstieg von 57 Prozent im Vergleich zum August des Vorjahres. 

Die Denkfabrik Brookings Institute bestätigt diesen rapiden Anstieg und schätzt die Zahl der legalen Waffen, die sich im Privatbesitz von US-Bürgern befinden, auf über 400 Millionen. Schon im März, im Zusammenhang mit den Covid-19-Maßnahmen, nahm der Verkauf von Schußwaffen enorm zu. 

Einem Bericht der Handelsgruppe der Waffenindustrie vom Juni zufolge glauben die Händler, daß 40 Prozent der Käufer seit März Erstbesitzer waren. Die Gruppe bezifferte die Gesamtzahl der neuen Besitzer bis dahin auf knapp fünf Millionen.

„In 15 Jahren als Lehrer für Schußwaffensicherheit habe ich noch nie ein größeres Interesse an Schußwaffen gesehen“, berichtet Rick Ector, ein in Detroit ansässiger Waffenausbilder, gegenüber der konservativen Medienplattform Washington Free Beacon. „Ich brauche keine Werbung zu machen, mein Telefon klingelt ständig.“

Ector glaubt, die Auslöser für die Verkäufe sind die Besorgnis über die Pandemie, den wirtschaftlichen Abschwung und die Unruhen im Land. Er verweist außerdem auf die strenge neue Waffenkontrollpolitik des Kandidaten der Demokraten, Joe Biden, und seinen Vorsprung bei den nationalen Wahlen. Er geht davon aus, daß die Rekordverkäufe bis zum Ende des Jahres anhalten werden.

„Jedes einzelne Thema allein würde zu einer Zunahme der Menschen führen, die Waffen kaufen“, sagt er. „Wir haben alle vier Faktoren ‘im Spiel’ und der Ansturm auf Waffen ist für mich keine Überraschung.“ Der Anstieg der Schußwaffenbesitzer könnte die Waffenpolitik und die amerikanischen Wahlen in den kommenden Jahren erheblich beeinflussen.

Doch die Demokraten mit ihren Spitzenkandidaten Joe Biden und Kamala Harris wollen die Waffenkultur der Amerikaner beenden und fordern die Limitierung oder gar Eliminierung des Second Amendment (Zweiter Zusatzartikel der Verfassung), das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen. „Ich gebe dem Kongreß 100 Tage Zeit, ein ordentliches Waffengesetz zu beschließen, und wenn sie das nicht tun dann werde ich es mit einer Durchführungsverordnung beschließen“, erklärte Harris während der Vorwahlen der Demokraten in 2019. Des weiteren möchte sie eine Rückkaufpflicht der Regierung für alle halbautomatischen Waffen einführen und eine Kapazitätsbegrenzung für Waffenmagazine. 

Starker Zulauf bei der Waffenlobby NRA  

Den Demokraten ist die Waffenlobby NRA (National Rifle Association) seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Anfang August gab die demokratische New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James bekannt, daß der Staat die Gruppe und vier ihrer Führungskräfte verklagt und die Organisation wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten auflösen will. „Wir streben die Auflösung der NRA wegen Veruntreuung und illegalen Verhaltens an“, heißt es in der Anklage. James hatte schon während ihres Wahlkampfes in 2018 angekündigt, die NRA aus dem Verkehr ziehen zu wollen.

Sie gilt als der einflußreichste politische Lobbyist des Landes und kann durch ihre Finanzkraft und ihre 5,5 Millionen Mitglieder Wahlen lenken. Laut der Nachrichtenplattform Dailywire gewinnen sie seit Beginn der Ausschreitungen Anfang Juni täglich 1.000 neue Mitglieder. 

Die NRA pflegt außerdem eine enge Beziehung zur Republikanischen Partei und unterstützt die Wiederwahl Donald Trumps mit Millionenspenden. Trump ist für den Erhalt des zweiten Zusatzartikels und will trotz wiederkehrender Massenschießereien an dem jetzigen System festhalten.