© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Schrotti heil!
Magnetangeln: Nicht nur auf Äckern und in Wäldern sind Schatzsucher unterwegs. Statt mit der Metallsonde nach Münzen und Musketenkugeln im Boden zu suchen, fischen immer mehr Hobbyarchäologen eiserne Funde aus trüben Fluten
Bernd Rademacher

Plumps – und weg ist er! Ein paar Luftbläschen steigen noch auf, dann liegt der Schlüsselbund auf dem Grund des Kanals. Verdammter Mist! Die momentanen Wassertemperaturen würden es sogar erlauben, danach zu tauchen, doch wegen der permanenten Verwirbelung der Bodensedimente durch die Frachtschiffe sieht man in 3,8 Metern Tiefe die Hand vor Augen nicht. Was tun?

 Gewußt wie! Ein starker Magnet, eine Angelrute und etwas Geduld! Nach einigen sachten Bewegungen ist Kontakt auf dem Grund zu spüren. Die Spindel surrt und der Ringmagnet kommt an die Oberfläche: Es ist – ein verlorenes Taschenmesser. Beim nächsten Versuch eine große Schraubenmutter. Beim übernächsten ein Lochblech. Doch dann endlich der Schlüsselbund! 

Das Erlebnis macht neugierig. Was wohl noch alles da unten in der Tiefe schlummert? Die Angel mal etwas weiter ausgeworfen – ein Fahrradschloß (geknackt), ein verbogener Nagel, sieben Kronkorken. Danach eine leere Farbdose, ein Fahrradschutzblech und ein undefinierbares Metalldings. Die Sache macht Spaß. Und offenbar nicht nur mir – Magnetangeln liegt aktuell voll im Trend. Auf Youtube zeigen Magnetfischer ihre Fänge und verraten Tips und Tricks für Einsteiger.

Profis wie „MC Limited Edition“ holen jede Menge Zivilisationsschrott aus Flüssen und Seen – und sogar versenkte Tresore und Schußwaffen. Die schnelle Entsorgung über das Brückengeländer scheint zum Volkssport geworden zu sein. Kriminelle werden hier aufgebrochene Geldkassetten los, der Asi von nebenan seinen Einkaufswagen. Für die Magnetfischer-Szene ist der Müll ein Schatz – sie holen den Schrott wieder an Land. Und sie dokumentieren ihre Angelei im trüben Gewässer auf Youtube und Instagram. Hunderttausende sehen und lieben ihre Videos; Magnetangeln ist der Hype der Saison. Dabei gibt es allerdings einiges zu beachten:





Die Ausrüstung

Magnet

Das Wichtigste beim Magnetangeln ist natürlich – der Magnet. Ein normaler Kühlschrank-Magnet aus dem Haushalt taugt hier nichts. Man benötigt schon einen speziellen Bergemagneten. Solche Neodym-Magnete verfügen über eine große Haftkraft und sind besonders robust. Zudem sind sie mit einem rostfreien Mantel und einer stabilen Öse versehen. Mit einer Haftkraft von 160 Kilo läßt sich schon ein Fahrrad aus einem Teich oder Bach ziehen. Für Anfänger reicht das völlig aus, um erste Erfolge zu erzielen. Magneten mit einer Haftkraft von 500 Kilo und mehr haben zudem den Nachteil, daß sie sich nicht mehr ablösen lassen, wenn sie unter Wasser an einem massiven Stahlträger haften bleiben.

Seil

Das Seil sollte eine Zugkraft von mindestens 750 Kilo aushalten können und zur Stabilisierung mehrfach geflochten sein. Wichtig ist, ein schwimmfähiges Seil zu verwenden, das auf der Wasseroberfläche treibt, falls es mal aus der Hand gleitet. Sonst ist mit dem Seil auch der teure Magnet futsch.

Wurfanker

Manche Objekte sind aufgrund ihrer Form (z.B. Fahrräder) oder ihres Gewichtes (z.B. Tresore) schlecht allein mit dem Magneten zu bergen. Hier kommt der Drilling-Wurfhaken ins Spiel, der dann in Richtung des Fundes nachgeworfen wird.

Mögliche Fehler

Der Fund löst sich wieder. Anfänger ruckeln oft zu hektisch und ruckartig an der Leine. Mit Gefühl geht vieles besser. Manchmal reicht es, den Winkel des Zugseils leicht zu verändern.

Das Seil reißt. Das Gewebe des Seils mag es nicht, an Brückenpfeilern oder -kanten gescheuert zu werden. Notfalls läßt sich das Seil mit einem aufgeschlitzten Gummischlauch verstärken.





Gefahren

Stolperfalle

Es ist sinnvoll, das Ende des Seils beispielsweise an einem Brückengeländer festzubinden (natürlich keinesfalls am Körper!). Dabei ist darauf zu achten, keine gefährlichen Stolperfallen für Fußgänger, Radfahrer, Inlineskater etc. zu produzieren, die das Seil leicht übersehen können.

Verkehr

An belebten Gewässern sollte man nicht Magnetfischen. Das Risiko, Schwimmer oder Paddler beim Auswerfen des Magneten oder Wurfhakens zu verletzen, ist zu hoch. Also besser ein einsames Plätzchen suchen oder zu ruhigeren Zeiten angeln.

Gewicht

Die größte Gefahr birgt das Auswerfen des Magneten: Niemals über den eigenen Kopf werfen! Durch das hohe Gewicht kann einem der Magnet leicht auf das Haupt fallen. Vorher unbedingt sicherstellen, daß keine Person hinter oder neben einem steht. Auf Brücken ist darauf zu achten, daß der Zielbereich frei von Anglern, Wassersportlern und auch Tieren ist.

Der Umweltaspekt

Viele Magnetfischer bezeichnen sich selbst als Naturschützer und ihr Hobby als angewandten Umwelt- bzw. Gewässerschutz. Das ist ein bißchen „Greenwashing“. Natürlich holen Magnetangler jede Menge Müll aus Teichen und Bächen. Aber wird der Müll hinterher auch fachgerecht entsorgt oder einfach wieder ins Wasser geworfen? Es ist der Natur auch wenig gedient, wenn Uferböschungen zertrampelt oder Wasserpflanzen zerrupft werden. Man sollte auch die Laichzeiten und Brutperioden von Bodenbrütern wie Enten, Teichhühnern etc. berücksichtigen. Das Schöne an den Schätzen im Wasser ist ja: Sie laufen nicht weg. In Naturschutzgebieten hat Magnetangeln grundsätzlich zu unterbleiben.





Die rechtliche Seite

Waffen- und Sprengstofffunde

Kriegswaffen und -munition finden sich noch zuhauf in deutschem Boden, so auch im Sediment von Gewässern. Wer mit dem Magneten Karabiner, Granaten oder Patronen aus dem Wasser fischt, sollte sofort Polizei oder Kampfmittelräumdienst verständigen. Mit nach Hause nehmen oder sie im Auto transportieren, ist verboten. Munitionsfunde sollte man auf keinen Fall selbst vom Magneten lösen, erst recht nicht mit Hilfsmitteln wie Messern oder Schraubenziehern. Sehen Schußwaffen auch noch so verrostet aus, kennt man doch ihren Ladezustand nicht – darum den Lauf nicht auf Personen richten. Auch Kriminelle lassen Waffen gerne von Brücken aus verschwinden, wer entsprechende Funde meldet, kann unter Umständen der Polizei helfen.

Anzeigepflicht

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt im § 965 die Anzeigepflicht von Findern: „Kennt der Finder die Empfangsberechtigten nicht oder ist ihm ihr Aufenthalt unbekannt, so hat er den Fund (…) unverzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen. Ist die Sache nicht mehr als zehn Euro wert, so bedarf es der Anzeige nicht.“ Das dürfte für fast jeden Fang beim Magnetfischen gelten. Achtung: Das Aneignen und Mitnehmen von Kriegsmunition ist ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Sprengstoffgesetz. Das kann sehr teuer werden!

Eigentumsrecht

Wie Grundstücke sind auch Gewässer in privater Hand oder Eigentum von Kommune oder Land. Wer auf Nummer Sicher gehen will, fragt beim zuständigen Amt nach, z.B. der Unteren Fischereibehörde. Wasserstraßen wie schiffbare Flüsse und Kanäle sind Bundeseigentum, hier gibt das Wasser- und Schiffahrtsamt Auskunft.

 Doch in manchen Landkreisen sind die Behörden bereits vom neuen Breitenhobby schwer genervt. Der Kreis Osterholz an der Wümme in Niedersachsen verfolgt Magnetfischen ohne Genehmigung als Ordnungswidrigkeit. Grund seien Beschwerden der Denkmalbehörden und gefährliche Munitionsfunde. Erst in diesem Frühjahr fanden Vater und Sohn im Landkreis beim Magnetangeln eine Phosphor-Brandbombe und nahmen sie mit nach Hause. Der weiße Phosphor entzündete sich selbsttätig, drei Personen wurden verletzt. Im Mai angelte ebenfalls in Niedersachsen ein Magnetfischer eine Handgranate und ließ sie einfach samt Magnet am Brückengeländer baumelnd zurück.

Auch die unsachgemäße Entsorgung von unbrauchbarem Schrott im nächsten Gebüsch oder retour ins Gewässer ärgert die Behörden. Dabei gilt das Liegenlassen von geangeltem Abfall nach dem Ehrenkodex der Szene als äußerst verwerflich. Freunde der Vergangenheit sind ebenfalls sauer: Je mehr Relikte aus Boden und Schlamm in privaten Vitrinen verschwinden, desto schwerer sei es, ein Bild der Geschichte zu zeichnen, argumentieren Historiker. Die Verwaltungsgerichte sehen das durchaus ähnlich: Wer ohne Genehmigung mit einem technischen Hilfsmittel nach Schätzen sucht, begeht den Bußgeldtatbestand der Fundunterschlagung, selbst wenn er nichts findet. Je nach Region wird der Umstand sehr humorfrei geahndet.

Das kümmert die wachsende Szene nur wenig. Typen wie der kauzige „Digger Neodym“ oder die „Magnet-Hunters“ aus Berlin holen ganze Parkbänke und Bauzäune aus der Spree, die jugendliche Vandalen hineingeworfen haben. Auch Fahrradständer und E-Roller zählen zu den häufigeren Funden. Das Altmetall ist ein lukratives Geschäft: Die Magnet-Hunters haben ihren XXL-Fahrradanhänger ausschließlich aus geangeltem Schrott finanziert.

Und es gibt natürlich noch mehr Möglichkeiten, mit dem Hobby Geld zu verdienen: Auf Youtube und Instagram werben die Aktivisten mit ihren eigenen Online-Shops für das richtige Zubehör und ihre Modekollektionen. Komplettpakete mit allem Drum und Dran für Einsteiger inklusive Magnet, Seil, Wurfanker und Handschuhen sind hier für 300 Euro zu haben. Bis sich die Investition amortisiert, muß man schon einige Einkaufswagen aus dem nächsten Teich holen.