© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/20 / 11. September 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Halal(i), oder: Keine Atempause, Geschichte (sprich: Geschlechtertrennung) wird gemacht, es geht voran – obwohl es das explizite Gegenteil des behördlich orchestrierten Gender-Mainstreamings sein dürfte. Anläßlich des jüngst höchstrichterlichen Kopftuchurteils berichtet mir im Café des Westsektors der Abiturient des katholischen Canisius-Kollegs, wie dort bereits im vergangenen Jahr Pionierarbeit geleistet wurde, als dort die erste islamische Lehrerin mit Kopftuch eingestellt wurde. Zur Vorstellung habe sie in der Klasse ein Bild von ihrer Hochzeit gezeigt – und dann noch eines von sich selbst mit offenen Haaren, allerdings nur für die Mädchen in der Klasse. Also eher Harem als haram – wirklich wunderbar, wie ein einzelner Buchstabe die Welt verändern kann. Kaum habe ich das gehört, fühle ich mich akustisch gestört: Die nervtötenden Songzeilen Robbie Williams’ („I just wanna feel / Real love“) klingen so seltsam seelenlos, als müßte der wahre Text lauten: I just wanna fake / Real feelings“). 


Ebenso synthetisch oder vielmehr als Phantom-Feeling erscheint es, wenn eine Epigonin der „Dritten Generation Ost“ wie Valerie Schönian (geboren 1990) unter Corona-Schutz-Maßnahmen ihr Buch „Ostbewußtsein“ vorstellt und sich als expliziten „Ossi“ versteht, der sich um so ostdeutscher fühle, je länger die Mauer gefallen sei. Da sie im Ost-Büro der Zeit in Leipzig arbeitet, verspricht das für sie eigentlich eine spannende Zeitreise zu werden. Tatsächlich ist dieses Konstrukt einer nachgeholten DDR-Identität so unglaublich, daß ich bei stummem Kopfschütteln schwer atmen muß – beinahe so, denke ich, wie die migrationspolitische Akteurin (es war wohl Lamya Kaddor) vor fast genau zehn Jahren bei der Buchvorstellung Sarrazins zu seinem Titel „Deutschland schafft sich ab“ im Haus der Bundespressekonferenz. Wer hätte damals gedacht, daß einmal exakt zehn Jahre und einen Tag später derselbe Autor dort vor nur etwa zwei Dutzend Journalisten sitzt, die alle mit „Maulkorb“ erschienen sind – anders als das Ehepaar aus dem Raum Stuttgart am Tag nach dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“, das ich im prominenten Café Einstein Unter den Linden treffe. Sie seien hier nur eingekehrt, da sie auch ohne Mundschutz reinkamen. Abseits des Meditations-Milieus „Querdenken“ (mein Motto: „Leerdenken!“) unterrichten sie mich über die Ausspäh-Praxis der „Göttin Siri“, der ich aus Dankbarkeit („JF-intern“, JF 33/20) geopfert, sprich: eine Apple-Aktie gekauft habe. Doch auch die Konkurrenz, so die die Ehefrau des IT-Experten, sei gefährlich: „Alexa ist genauso schlimm.“