© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Verharmlost und vergessen
Linksextremismus: Auf die Gewalt militanter Gruppen folgen meist nur bloße Phrasen
Karsten D. Hoffmann

Zur Erleichterung aller Beteiligten blieb das Wochenende im Leipziger Szene-Stadtteil Connewitz verhältnismäßig ruhig. Eine brennende Barrikade und ein paar illegale Feuerwerkskörper auf einer mäßig besuchten Demonstration des linken Spektrums – das Großaufgebot der Polizei hatte Wirkung gezeigt. Am Wochenende davor hatte dies noch anders ausgesehen, als in drei aufeinander folgenden Nächten 20 Polizeibeamte verletzt und diverse Polizeifahrzeuge beschädigt wurden. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte den Randalierern „den Kampf an“, Oberbürgermeister Burk-hard Jung (SPD) verurteilte die Gewalt „auf das schärfste“.

Alle paar Monate kommt es in Deutschland zu Ausschreitungen der linken Szene – mal spontan wie in Leipzig, mal geplant und anlaßbezogen wie beim G20-Gipfel in Hamburg und auch als regelmäßiger Termin im Autonomenkalender wie beim 1. Mai in Berlin. Oft werden Polizisten verletzt, manchmal Unbeteiligte. Regelmäßig kommt es zu hohen Sachschäden, und als Reaktion üben sich die Parteien und die politisch Verantwortlichen in immer den gleichen Distanzierungsritualen: Härteres Durchgreifen, Verschärfung von Gesetzen, mehr Polizei. Umgesetzt wird von den Forderungen in der Regel keine, denn drei Tage später spricht niemand mehr darüber.

Der Umgang mit linker Militanz suggeriert zudem, sie wäre nur dann ein Problem, wenn Linksautonome sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Worüber die Öffentlichkeit kaum spricht, sind die alltäglichen Übergriffe linksgerichteter Gruppen, die nicht von grölenden Menschenmassen ausgehen, sondern geplant und konspirativ ausgeführt werden. Es geht um Angriffe auf Privathäuser mißliebiger Politiker und Beamter, auf Gaststätten, Parteibüros, Firmen, Neubauten, Studentenverbindungen und im Grunde alle, deren Meinung von der militanten Linken nicht toleriert wird.

In den meisten Fällen handelt es sich um Farbangriffe und das Sprühen von Parolen. Das hört sich zunächst banal an, ist es aber nicht. Der Schaden geht oftmals in die Zehntausende, die Angreifer nutzen präparierte Feuerlöscher, um die Farbe möglichst großflächig anbringen zu können. Dabei geht es ihnen noch nicht einmal um den materiellen Schaden. Zurück bleibt immer eine politische Botschaft, die besagt: „Wir sind hier und bereit, dich anzugreifen. Wenn du weitermachst, kommen wir wieder.“ 

Es bleibt auch nicht bei Farbangriffen. Die nächste Eskalationsstufe sind Brandstiftungen, vornehmlich an Kraftfahrzeugen. Diverse AfD-Politiker wie Frauke Petry, Uwe Junge, Tino Chrupalla, Frank Hansel, Ronald Gläser und Nicolaus Fest waren bereits davon betroffen. Aber auch Journalisten wie Gunnar Schupelius oder Sozialwissenschaftler wie Werner J. Patzelt waren bereits mit dieser Form linker Aggression konfrontiert.

Es sei ja nur „Gewalt gegen Sachen“, argumentieren die Apologeten der militanten Akteure. Aber bei jedem dieser Anschläge besteht die Gefahr, daß die Flammen auf Gebäude oder andere Fahrzeuge überspringen und Menschen zu Schaden oder zu Tode kommen. Im Juni dieses Jahres warnte der Verfassungsschutz, er halte die Entstehung linksterroristischer Strukturen für möglich. Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, daß die linksextremistischen „Revolutionäre[n] Aktionszellen“ (RAZ) Drohbriefe, teils mit scharfer Munition, an mindestens 15 Politiker und Behördenleiter verschickt hatten.

Die Folgen der Angriffe sind bereits seit Jahren sichtbar. Gaststätten stellen ihre Räume aus Angst vor militanten Gruppen nicht mehr für politische Veranstaltungen zur Verfügung. Parteien finden nicht ausreichend Kandidaten. Politiker ziehen sich aus Rücksicht auf ihre Familien aus der Öffentlichkeit zurück. Im Ergebnis werden Menschen in ihrem Wahlverhalten beeinflußt, weil einige Parteien im demokratischen Wettbewerb benachteiligt sind.

Und auch mancher Politiker der etablierten Parteien wird sich angesichts möglicher Vergeltungsaktionen des militanten Spektrums genau überlegen, was er in der Öffentlichkeit sagt und was nicht. Durch die kontinuierliche Beeinflussung des politischen Prozesses konstituiert sich die militante Linke als Gegenmacht zum demokratischen Rechtsstaat.

Politisch motivierte Gewalt ist kein Alleinstellungsmerkmal der militanten Linken. Rechtsextremisten haben in jüngster Vergangenheit weitaus schlimmere Taten begangen als die, die auf das Konto von Linksextremisten gehen. Auch sie schüchtern ihre politischen Gegner damit massiv ein. Aber im Unterschied zu linker Militanz wird rechter Militanz mit großem gesellschaftlichem Engagement begegnet. 

Es gibt Hunderte Gruppen, die sich mit Rechtsextremismus befassen, aber nur eine Handvoll, die sich Linksextremismus und linke Militanz zum Thema gewählt haben. Nur ein bis zwei Prozent der Mittel für die Extremismusprävention werden für die Bekämpfung des Linksextremismus aufgewendet. Und wer in wissenschaftlichen Bibliotheken nach Literatur zum Thema sucht, findet kaum etwas. Viele Abhandlungen stammen von Autoren, die selbst Teil dieser Szene sind, es waren oder ihr zumindest nahestehen. Fest steht: Die Gegenmacht zum demokratischen Rechtsstaat entsteht nicht, weil die militante Linke Anschläge verübt. Sie entsteht, weil die demokratische Gesellschaft ihr nicht entschlossen genug gegenübertritt.






Dr. Karsten D. Hoffmann ist Politikwissenschaftler. Seine Dissertation über die „Rote Flora“ wurde mit dem Preis der Deutschen Hochschule der Polizei ausgezeichnet. Im GHV-Verlag ist kürzlich sein neues Buch „Gegenmacht“ erschienen.