© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Pia Klemp. Die radikale Kapitänin macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube.
„Tschüß Volk!“
Moritz Schwarz

Auch sie wurde herumgereicht, wie zuvor Carola Rackete, vom Radio zum Fernsehen, von der taz bis zur FAZ, von Kulturzentren, Stiftungen, Parteien. Auch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo riß sich um sie, ihr die Ehrenmedaille der Stadt anzuheften. Vergeblich, denn mit den Worten „Es ist an der Zeit, heuchlerische Ehrungen beim Namen zu nennen!“ ließ sie die französische Sozialistin abblitzen und schob drohend hinterher: „Und es ist an der Zeit, Medaillen umzuschmieden, in Speerspitzen der Revolution!“ 

Nun steht Pia Klemp wieder auf der Brücke und befehligt das neue Schiff der deutschen Mittelmeerretter Sea Watch, das der britische Streetart-Künstler Banksy finanziert hat (JF 38/20). Getauft ist das nun rosa verzierte – ironischerweise vormalige Patrouillenboot des französischen Grenzschutzes – auf den Namen „Louise Michel“, einer Pariser Anarchistin des 19. Jahrhunderts. Zweihundert arme Seelen hat die Kapitänin damit schon gerettet. Und wie nach den von Klemp kommandierten Missionen mit der „Iuventa“ und „Sea Watch 3“ im Sommer und Herbst 2017 liegen ihr hierzulande erneut die Herzen aller Guten zu Füßen.

Natürlich aber überhören diese, wenn die forsche Biologiestudentin, geboren 1983 in Bonn, die Katze aus dem Sack läßt, und bestätigt, wofür Kritiker der Einsätze als „Hetzer“ mit Verschwörungsphantasma beschimpft werden – daß es nicht um Menschen, sondern die Durchsetzung linker Politik zum sanften Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse geht. Freimütig bestätigte Klemp das nun dem Guardian: „Ich sehe Seenotrettung nicht als humanitäre Aktion, sondern als Teil des antifaschistischen Kampfes.“ Tatsächlich aber läßt Klemp das schon lange durchblicken, etwa mit der von ihr wiederholt gebrauchten Formulierung, dies oder das „in die Speerspitze der Revolution“ zu verwandeln oder in ihrer Rede auf dem Parteitag der Linken 2019, die sie mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis ehrten. Auch die Taufe der „Louise Michel“ spricht Bände, deren Namenspatronin sich nicht nur erbot, den Präsidenten der Dritten Republik zu ermorden, sondern forderte, die Hauptstadt dafür, daß sie es 1871 an revolutionärem Furor mangeln ließe, zu bestrafen und Paris zu zerstören.  

Einblick in Klemps Motive bietet auch ihr Roman „Laß uns mit den Toten tanzen“ (2019), der ihre Erlebnisse auf See verarbeitet. Schon der frivole Titel weist die Richtung: Die Heldin, die sich selbst ein „Arschloch“ nennt, scheint unterschwellig getrieben von Abenteuerlust und der für den Narzißmus junger Menschen häufigen Verachtung der Gesellschaft, auf die alles Übel geschoben wird. Um den ums eigene Ego kreisenden Ausbruch aus dem Konventionellen als Altruismus getarnt guten Gewissens auszuleben zu können: „Tschüß Volk und hanebüchene Regeln. Wir sind jetzt unser eigener Planet und schwimmen losgelöst vom Gesellschaftsquatsch herum.“