© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

„Ein Wildschwein ist kein Hausschwein“
Agrarmarkt: Afrikanische Schweinepest bringt Exportstopp / Bauern rufen zur Besonnenheit im Umgang mit der Seuche auf
Paul Leonhard

Die knapp einen Meter hohen Schutzzäune, versehen mit abschreckenden Duftstoffen und teilweise unter Strom gesetzt, sind an der Oder-Neiße-Grenze noch vorhanden, aber sie konnten das Übergreifen der Afrikanischen Schweinepest (ASP, JF 6/20) nach Deutschland offenbar nicht verhindern. Im Februar 2014 wurde der erste Fall im Osten Polens gemeldet (JF 26/14). Vorige Woche bestätigte das Friedrich-Loeffler-Institut, daß der ASP-Erreger in einem Wildschweinkadaver im südbrandenburgischen Spree-Neiße-Kreis entdeckt wurde. Dieser Landkreis rund um Cottbus gilt neben dem Oder-Spree-Kreis und Frankfurt (Oder) als besonders gefährdet, was den Grenzübertritt möglicherweise infizierter Wildschweine aus Polen betrifft.

Da ASP meldepflichtig ist, sorgte das tote Wildtier für weltweite Aufregung. Deutschland ist nach Spanien und den USA mit einem Ausfuhrvolumen von 4,5 Milliarden Euro (Weltmarktanteil: 15,3 Prozent) drittgrößter Exporteur von Schweinefleisch. Am schnellsten reagierten die Südkoreaner, die noch bevor Deutschland überhaupt den Status „seuchenfrei“ verloren hatte, die Einfuhr von deutschem Schweinefleisch verboten. Es folgten China und Japan – und das ist nur der Anfang. „Der Exportstopp macht uns große Sorge“, erklärte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Auch die Discounter sollten „die Krisensituation nicht zu Lasten der Schweinehalter ausnutzen“.

Heikel ist, daß nur sieben Kilometer vom Fundort in der Gemeinde Schenkendöbern größere Bestände von Hausschweinen gehalten werden. Entsprechend den bestehenden Seuchenplänen wurde das Gebiet um den Fundort in einem Radius von drei Kilometern mit einem elektrischen Zaun abgesichert und darf nicht einmal betreten werden, um die Ernte einzubringen. Um diese Kernzone gilt ein Gebiet mit einem Radius von 15 Kilometern als „gefährdet“. In ihm liegen 17 Schweinehaltungen von unterschiedlichster Größe mit einem Gesamtbestand von 4.000 Tieren. Es folgt eine Pufferzone von 30 Kilometern.

Ein EU-Exportverbot besteht nur in der Kernzone

Die Grünen nutzen die Seuchengefahr, um eines ihrer Steckenpferde zu reiten: die Schließung großer Zucht- und Schlachtbetriebe sowie die Dezentralisierung der Schweinehaltung. Deutschland sei auf die ASP-Ankunft gut vorbereitet, sagt hingegen Claus Deblitz, Vizechef des bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstituts gegenüber dem Nachrichtenportal Agrarheute. Überdies gelte zumindest innerhalb der EU eine Zonierung, außerhalb derer der Handel weitergehen könne. Ein Exportverbot bestehe nur für innerhalb der Kernzone produzierte Fleischprodukte.

Auch Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) warnt vor Panikmache. Der Bauernbund Brandenburg ruft zur Besonnenheit auf: „Ein Wildschwein ist kein Hausschwein“, sagte Vorstandsmitglied Thomas Kiesel, Bauer im Ruppiner Land: „Unsere Hausschweine-Bestände werden zu 99 Prozent in gut geschützten Ställen gehalten, und selbst wenn der Virus durch Unachtsamkeit eingeschleppt würde, kann er mit den normalen Methoden der Seuchenbekämpfung wirksam eingedämmt werden.“ Der Sächsische Landesbauernverband fordert in den angrenzenden Landkreisen Bautzen und Görlitz die Einrichtung einer „wildschweinfreien 30-Kilometer-Zone“ beiderseits der deutsch-polnischen Grenze. Auch Kiesel fordert, den Jagddruck auf Wildschweine massiv zu erhöhen.

Auf polnischer Seite werden die Schwarzkittel bereits offensiv gejagt, teilweise sogar von der Armee. Noch im Sommer gingen Agrarexperten davon aus, daß sich der Schwerpunkt des Infektionsgeschehens wieder in den Osten des Landes verschoben habe. Um so größer jetzt der Schock. Allein in Brandenburg gibt es rund 170 Betriebe, in denen rund 750.000 Schweine gehalten werden. Sie versorgen andere Bundesländer und das EU-Ausland vor allem mit Ferkeln. Das aggressive ASP-Virus ist zwar für den Menschen bislang ungefährlich, aber für Hausschweine tödlich. Eine Impfung oder ein Medikament gibt es nicht. Wird ein infiziertes Hausschwein in einem Stall nachgewiesen, müssen alle Tiere getötet werden. Ein Zusammenbruch des Exportmarktes würde zu rapide sinkenden Schweinefleischpreisen in Deutschland führen und zum Ruin vieler Zuchtbetriebe.

Der ostasiatische Schweinefleischbann ist verständlich: In China wütet die ASP seit 2018. Die Volksrepublik hat riesige Bestände notschlachten müssen, weswegen sich der Fleischimport im ersten Halbjahr 2020 verdoppelt hat. 27 Prozent der deutschen Schweinefleischexporte gingen in den ersten sechs Monaten in das Reich der Mitte, was etwa zehn Prozent der deutschen Schlachtmenge entspricht. Das sei „schon marktentscheidend“, so Josef Efken vom Thünen-Institut. Voriges Jahr kaufte China von Januar bis November rund 279.000 Tonnen Schweinefleisch von deutschen Betrieben. Übertroffen wurde das lediglich von den Lieferungen nach Italien mit 291.000 Tonnen.

Weltweit wurden zwischen dem 21. August und dem 3. September nach Angaben der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) 160 neue ASP-Ausbrüche registriert. Damit stieg die Gesamtzahl auf 7.191. Allein in Rumänien gibt es mehr als 3.700 Ausbrüche, vor allen in kaum überwachten „Hinterhofbeständen“. In Vietnam mußten 40.000 Schweine gekeult werden. Auch von den Philippinen, Indien, Sambia, Ungarn, Lettland, Bulgarien und Rußland wurden im Sommer immer neue ASP-Ausbrüche gemeldet. In Polen wurden in diesem Jahr bisher mehr als 43.000 Hausschweine und 3.000 infizierte Wildschweine getötet.

Es gibt aber Hoffnung: Belgien ist es im August gelungen, den Status „seuchenfrei“ zurückzuerhalten. Hier wurden 2018 nach einem Ausbruch das 12.500 Hektar große Kerngebiet abgesperrt und 2.000 Wildschweine abgeschossen.

Informationen des Friedrich-Loeffler-Instituts: fli.de