© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Das Kapital schlägt zurück
Amerika in Aufruhr: Warum die „Black Lives Matter“-Bewegung keine marxistische Revolution ist
Björn Harms

Glaubt man vielen konservativen Autoren, so steht die marxistische Revolution in den USA unmittelbar bevor. Die „Black Lives Matter“-Bewegung sorgt allerorts für Angst und Schrecken. Der Mob plündert sich durchs Land, ein eifriger Bildersturm auf die eigene Geschichte hat eingesetzt. Fundamentalistische Slogans wie „Defund the Police“ („Entzieht der Polizei die Finanzierung“) machen die Runde. Doch neben der linksradikalen Rhetorik der selbsternannten Aktivisten ist vor allem bemerkenswert, wer sich alles in die Riege der Antirassismus-ideologen eingereiht hat. 

Denn nicht nur die Demokratische Partei oder die kulturellen Eliten sind in kurzer Zeit weit nach linksaußen gedriftet, auch die US-Wirtschaft folgt braven Schrittes. Die wütenden Proteste gegen eine vermeintliche Rassenungerechtigkeit wurden von den Großkonzernen sofort enthusiastisch bejubelt und mit Millionen-Dollar-Spenden belohnt. Sogar dann, wenn Shops und Außenposten der eigenen Unternehmen in Flammen aufgingen. Das geschieht nicht zufällig. Das politisch-korrekte „Woke Capital“ und insbesondere das alles umspannende „Silicon Valley“ weiß nur allzu gut, welche Rolle es einnehmen muß. „Black Lives Matter“ erweist sich als nützlich, um eine Art Gegenrevolution zur populistischen Erhebung von 2016 einzuleiten.

„Sie suchen nicht nach einer radikal neuen Regelung, sondern nach einer Rückkehr zum Status quo vor Trump“, schrieb Sohrab Ahmari, Redakteur der New York Post, bereits Anfang Juli in der Wochenzeitschrift The Spectator. Die Zeit vor Trump meint: Rückbesinnung auf offene Grenzen, unkontrollierten Freihandel und kulturellen Liberalismus. Dinge also, die vor allem die Mittelklasse belasten, aber auch zum Untergang jeglicher traditionellen Werte mit beigetragen haben. „Glaubt irgend jemand ernsthaft“, fragte Ahmari, „daß das amerikanische Establishment – Walmart, Facebook, Amazon, Netflix, die Ivy-League-Universitäten, die großen Sportligen, um Himmels willen – einer Bewegung beitreten würde, die ihre materiellen Interessen wirklich bedroht?“ 

Nun, zumindest sucht man klassisch linke Themen wie Lohngerechtigkeit oder die Verteilungsfrage zwischen Arm und Reich – in den USA klafft hier eine immer größer werdende Lücke – bei „Black Lives Matter“ vergebens. Statt einer verarmenden Mittelschicht aller Ethnien unter die Arme zu greifen, geht es um die Hautfarbe. Wie „divers“ ist das Unternehmen eigentlich? Zusätzlich wird die brisante „Cancel Culture“ eingeschoben: Hast du die falsche Meinung, bist du raus. Mit diesen Punkten dürfte wohl kein großes BigTech-Unternehmen ein Problem haben.

Passend dazu hat die Zensurmacht der Konzerne ungeahnte Ausmaße angenommen, die noch über die sozialen Medien hinausgehen. Nachdem etwa der 17jährige Kyle Rittenhouse in Kenosha zwei linke Randalierer erschoß, die ihn zuvor angegriffen hatten, blockierte der Kreditkartenherausgeber Discover – der immerhin fünf Millionen Euro an „Black Lives Matter“ spendete – die Möglichkeit, auf einen eingerichteten Rechtsschutzfonds für Rittenhouse Geld zu überweisen. Der Verlust eines Twitter-Kontos ist wahrlich nur die Spitze des Eisbergs, die Kontrolle der Bankkonten steht als nächstes an.

Diese Geschehnisse verdeutlichen: Nicht nur in den USA werden Konterrevolutionen heutzutage – und hierin liegt der historische Wendepunkt – von links ausgefochten. Auch in Europa kämpften „Populisten darum, einer globalistischen Kapitalistenklasse, die die Sache der LGBT aktiv unterstützt und die muslimische Einwanderung aus der Dritten Welt begrüßt, die Macht zu entreißen“, verdeutlichte der US-Historiker Paul Gottfried im Magazin The American Conservative. In diesen Ländern befänden sich „die Konterrevolutionäre ebenfalls auf der linken Seite“.

Die Zugeständnisse des Kapitals an den Antirassismus oder auch die Demokratische Partei sind natürlich keine Einbahnstraße. Milliardär Mike Bloomberg kündigte am Sonntag an, abermals 100 Millionen Euro an die Demokraten zu spenden. Als Gegenleistung für die Unterstützung bei der Amtsenthebung von US-Präsident Donald Trump will die Wall Street sicherstellen, daß die progressive Gegenrevolution das Wirtschaftsleben nicht angreift. Die „Black Lives Matter“-Proteste tun es mitnichten, im Zuge der Corona-Pandemie schossen die Gewinne der BigTech-Konzerne durch die Decke. Doch was, wenn demokratische Politiker wie Alexandria Ocasio-Cortez weitergehen wollen? Wenn der grüne „New Deal“ kommt? Ob es sich dann gelohnt haben wird, mit linksradikalen Kräften Bündnisse einzugehen, um die Konterrevolution zum Sieg zu führen?