© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

„Die Revolution braucht Filmstars!“
Kino: „Jean Seberg – Against All Enemies“ zeichnet drei Jahre im Leben der US-amerikanischen Schauspielerin nach, die ins Visier des FBI geriet
Dietmar Mehrens

Außer Atem“ (1960), Jean-Luc Godards spektakulärer Gangsterfilm mit dem jungen Jean-Paul Belmondo in der Hauptrolle, machte sie zur Ikone der Nouvelle Vague. Mit ihrem modischen Kurzhaarschnitt wurde sie stilbildend für eine ganze Generation. Mit Clint Eastwood, ihrem Filmpartner in „Westwärts zieht der Wind“ (1969), hatte sie eine Affäre. Mit Burt Lancaster drehte sie „Airport“ (1970). Doch das alles ist in dem Filmporträt von Benedict Andrews bestenfalls Hintergrundrauschen. Sein Fokus gilt den drei Jahren, in denen Jean Seberg ins Visier übereifriger FBI-Wachtmeister geriet, weil sie die Black-Panther-Bewegung unterstützte. 

An Bord eines Flugzeugs lernt die bekannte Schauspielerin im Schicksalsjahr 1968 den schwarzen Bürgerrechtler Hakim Jamal (Anthony Mackie) kennen und ist fasziniert von dem Engagement des Black-Panther-Aktivisten. Sie begeht Ehebruch mit ihm. Ein Fehltritt mit Folgen, denn Jamal und seine Panther werden staatsgefährdender Umtriebe verdächtigt und daher vom FBI überwacht.

So gerät auch die attraktive Mimin ins Visier der mit Stasi-Methoden zu Werke gehenden Abhörexperten. Auf J. Edgar Hoovers besonderen Wunsch schreckt das FBI selbst vor einer Schmutzkampagne nicht zurück, als bekannt wird, daß Seberg ein uneheliches Kind erwartet.

Während die von ihm Überwachte Paranoia-Attacken plagen, fühlt sich der junge FBI-Agent Jack Solomon (Jack O’Connell) immer unwohler in seiner Haut. Hoovers unlautere Methoden stürzen ihn in Gewissensnöte und Eheprobleme. Schließlich entschließt Jack sich zu einem Schritt, der Zuschauern, die das Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ (2006) gesehen haben, bekannt vorkommen wird. Der FBI-Erzählstrang orientiert sich sichtlich an dem auch in den USA geschätzten Oscar-Gewinner aus Deutschland.

Überlegenheit linker Weltdeutungsmuster 

Schon mit dem feinsinnigen Künstlerporträt „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) streifte Kristen Stewart das Image der blassen Vampir-Mätresse aus der Stephenie-Meyer-Verfilmung „Twilight – Biss zum Morgengrauen“ (2008) und ihren Nachfolgern ab. Als wandlungsfähige Darstellerin zeigt sich Stewart nun auch in der Rolle der in eine Lebenskrise hineinschlitternden Jean Seberg. Zwar kommt die Wandlung der Aktrice von der selbstbewußen, politisch aktiven Frau zum selbstmordgefährdeten seelischen Klappergestell etwas plötzlich und wirkt nicht vollkommen glaubwürdig; das dürfte aber eher dem Drehbuch geschuldet sein als der Hauptdarstellerin, deren einfühlsame Interpretation der Sechziger-Jahre-Ikone beeindruckt.

Regisseur Benedict Andrews sucht nach den Ursachen für Sebergs psychischen Niedergang bei den FBI-Überwachungsmaßnahmen und folgt damit der Sicht von Sebergs zweitem Ehemann Romain Gary. Rachel Morrisons exquisite Bildgestaltung macht zwar Moden und Gestaltungselemente der porträtierten Ära mit sicherem Stilgespür sichtbar, läßt aber wenig erahnen von der destabilisierenden Wirkung, die die für die damalige Zeit typische Tendenz zu Promiskuität, Drogenmißbrauch und sittlicher Verwahrlosung auf junge Menschen ausübte.

Die fatalen Mythen von freier Liebe und bevorstehendem Umsturz, die auf Seberg einwirkten, sind eingebettet in die heute mehr als damals gültige Doktrin von der Überlegenheit linker Weltdeutungsmuster, wie sie auf sensible Künstlerseelen seit jeher ihre Verführungskünste ausüben. Jamals Frau ködert Seberg mit den Worten: „Die Revolution braucht Filmstars!“ Und Jamals Kampfruf „Gegen die Schwarzen in Amerika wird Krieg geführt“ wirkt, als wäre die Zeit stehengeblieben und die gegenwärtige „Black Lives Matter“-Bewegung ein Achtundsechziger-Direktimport. 

Kinostart ist am 17. September

 http://jeanseberg-derfilm.de