© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Es gibt kein drittes Geschlecht
Auf Kosten aller
Birgit Kelle

Im Oktober 2019 überraschte der Pariser Zoo die Weltöffentlichkeit mit der Nachricht über ein rätselhaftes neues Tier, das man dort beherberge, der „Blob“. Er habe 720 diverse Geschlechter, aber kein Gehirn. Die Natur setzt eigenwillige Prioritäten. So weit die Tierwelt, aber wie ist es denn nun beim Menschen? Jahrzehntelange Genderpolitik und Genderforschung konnte die Frage nicht beantworten, wie viele „Geschlechter“ es nun tatsächlich gebe. Glaubt man der Berichterstattung der Szene, befinden wir uns offenbar noch in der Entdeckungsphase, denn es kommen ständig neue hinzu. Wo im Geschlechterreigen immer neue LGBTTIQ-Ketten, aber keine substantiell sinnvollen Kategorien auftauchen, kann es auch niemals Klarheit, sondern immer nur Verwirrung geben.

Biologisch betrachtet bleibt von der vielfach zitierten „Vielfalt der Geschlechter“ am Ende des Tages nur eine erschlagend hohe statistische Normalität von Mann und Frau übrig, von der es eine einzige biologische Abweichung, eine Anomalie gibt: die Intersexualität. Es gibt keinen Grund, in Schnapp­atmung und einen gefühlten Diskriminierungszustand zu verfallen, nur weil eine menschliche Daseinsform nicht der statistischen Norm entspricht und entsprechend auch als Ausnahme oder Anomalie bezeichnet wird.

Jeder Chromosomenfehler, jede körperliche oder geistige Fehlentwicklung ist eine nüchterne Abweichung von der statistischen Norm. Man wünschte, die Lehre von der Normalverteilung innerhalb der „Gaußschen Glocke“ wäre wieder Grundwissen, nicht nur in Schulklassen, sondern auch in Redaktionen, Parlamenten und TV-Talkformaten.

Daß es bei der Entwicklung des Menschen in der Gebärmutter normale Verläufe und auch Komplikationen oder Fehlbildungen gibt, ist Tatsache. Jemand, der nur mit einer Hand auf die Welt kommt, hat eine Behinderung, eine Fehlentwicklung seiner Extremitäten, aber sicher kein neues „Geschlecht der Einarmigen“. Auch Geschlechtsorgane können sich, wie alle Organe oder Körperstrukturen, fehlerhaft entwickeln. Manche Menschen sind dadurch unfruchtbar, andere intersexuell. Das ist nicht schön, schon gar nicht für die Betroffenen selbst, aber kein Akt menschlicher Diskriminierung, sondern Willkür der Natur. Wer den aktuellen Forschungsstand über die Ursachen wissen will, möge sich durch die umfangreiche Fachliteratur über Chromosomen und Hormone lesen, für die gesellschaftliche Debatte ist nur relevant, daß diese biologische Varianz existiert, wenn auch statistisch im absoluten Promillebereich.

Kann ein Mensch biologisch klar als männlich oder weiblich bezeichnet werden, dann darf er sich nicht als „divers“ ins Geburtenregister eintragen lassen. Erst im April wurde genau diese sprachlich kleine, aber rechtlich große Unterscheidung vor dem BGH bestätigt. 

Bei der Intersexualität handelt es sich also um Menschen, die faktisch primäre und/oder sekundäre Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter aufweisen und bei denen sich selbst medizinisches Fachpersonal schwertut, bei Neugeborenen festzulegen, ob es denn nun ein Mädchen ist oder ein Junge. Es existieren zudem vielfältige Varianzen wie etwa, daß die intersexuelle Veranlagung äußerlich gar nicht sichtbar ist, innerlich aber divergiert, wenn ein Mensch etwa einen Penis, aber auch Eierstöcke besitzt, oder sowohl eine Vagina und Brüste als auch innerliche Hoden.

Manche Intersexuelle erfahren erst dann von ihrer körperlichen Abweichung, wenn sie erfolglos versuchen, Kinder zu bekommen und den körperlichen Ursachen der Kinderlosigkeit nachgehen. Vorher lebten sie völlig unkompliziert als Mann oder als Frau ohne das Wissen um ihre körperliche Anomalie. Intersexualität ist also selbst für Intersexuelle nicht ein automatisches Problem, des Sich-nicht-zuordnen-Könnens in einer binären Welt, die meisten haben von klein auf eine deutliche Präferenz, ob sie nun Mann oder Frau sind, und wollen auch nichts „Drittes“ sein.

Es gibt aber auch jenen Anteil der Intersexuellen, die sich nicht für eine Seite zwischen Mann und Frau entscheiden können und es deswegen auch nicht wollen. Genau für jene, „die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2017 in einem Urteil dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, eine rechtliche Option zu schaffen. Es sollte auch für diese Menschen endlich eine rechtliche Möglichkeit geben, eine Geburtsurkunde oder einen Reisepaß zu besitzen, in dem sie nicht eine Leerstelle haben, sondern eine eigene, dritte Option.

Obwohl in der Presse breit bejubelt wurde, daß jetzt gar der Oberste Gerichtshof endlich das „dritte Geschlecht“ anerkannt habe, war das mitnichten der Fall. Man hat entschieden, daß es eine dritte Eintragungsform geben muß, weil es bisher nur die Option männlich, weiblich oder eben nichts gab. Das sei diskriminierend, entschied das Gericht völlig korrekt, denn diese Menschen sind ja nicht nichts, sondern einfach anders. Seit Dezember 2018 kann also laut Gesetz bei „Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ im Geburtsregister der Geschlechtseintrag „divers“ vorgenommen werden, wenn,  so das Gesetz, das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden „kann“.

Juristen kennen diese sprachliche Detailversessenheit gut, Medienproduzenten und -konsumenten nicht immer, auch Parlamentarier haben damit ihre Schwierigkeiten, aber Fakt bleibt, ein einzelnes Wort macht in einem Gesetz manchmal einen himmelweiten Unterschied aus. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein Gesetz gefordert, für jene, die sich einem Geschlecht „nicht zuordnen lassen“.

Im fertigen Gesetz steht nun, es gilt für jene, bei denen man es wirklich nicht zuordnen „kann“. Das bedeutet, es gilt nicht für jene Menschen, die sich gerne divers oder irgendwie anders bezeichnen lassen wollen, sondern nur für jene, die es gar nicht können. Im Umkehrschluß: Kann ein Mensch biologisch klar als männlich oder weiblich bezeichnet werden, dann darf er sich nicht als „divers“ ins Geburtenregister eintragen lassen. Erst im April 2020 wurde genau diese sprachlich kleine, aber rechtlich ungeheuer große Unterscheidung noch einmal vor dem Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt. Geklagt hatte diesmal eine Frau, die ihr Geschlecht gerne als „non-binär“ in ihre Ausweispapiere eintragen lassen wollte. Das Gericht stellte noch einmal klar: „Personen mit lediglich empfundener Intersexualität sind hiervon nicht erfaßt.“ Gefühl schlägt eben nicht Fakten.

Es ist wenig hilfreich für die Intersexuellen selbst, die Existenz der „Vielfalt“ von Geschlecht herbeizureden, indem man die körperliche Anomalie der Intersexualität mit allen anderen, frei erfundenen Geschlechterdefinitionen gleichsetzt.

Die Richter haben sicher begriffen, daß sie ja sonst nicht nur juristisch erstmalig einem frei erfundenen Phantasie-Geschlecht zu rechtlicher Akzeptanz verhelfen würden, sondern auch ein (Geschlechter-)Faß ohne Boden aufmachen. Non-binär wäre nur der Anfang, auch hier muß man Gender zu Ende denken, und dann ist in der Gender-Blackbox von pansexuell bis genderfluid alles drin.

Derweil kann nicht einmal die Bundesregierung sagen, wie viele Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in Deutschland überhaupt existieren. Wir diskutieren ein Phänomen, das statistisch nicht erfaßt wird. Man weiß auch nicht, wie viele sich nach Einführung der Option „divers“ tatsächlich als solche haben eintragen lassen, wie die Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage im Parlament zeigte.

Wir finden demnach in einer Bevölkerung von gut 83 Millionen Menschen genau 164, die ihre Geschlechtsbezeichnung nicht im Spektrum weiblich oder männlich haben registrieren lassen, und „keine Angaben“ zu machen ist zudem nicht gleichzusetzen mit Menschen, die sich als „divers“ identifizieren. Aber gut, daß wir schon mal präventiv für den Massenansturm in der großen Pause in Grundschulen Extratoiletten für potentiell non-binäre Menschen bauen.

Es gibt nur zwei Geschlechter, aber eine Vielzahl an Arten, sich selbst zu benennen oder auch sexuell zu begehren. „Non-binär“ zu sein wäre allerdings eine außerterrestrische Lebensform. Einer meiner Söhne lebte ein Jahr lang in der Wahnvorstellung, er sei „Spiderman“, und versuchte das durch waghalsige Kletterunternehmungen an Türrahmen und einen Spiderman-Anzug, der bereits begann, mit seinem vierjährigen Körper zu verwachsen, glaubhaft zu machen. Irgendwann später war er ein Jedi. Aber immer blieb er ein kleiner Junge.

Die verbale Manifestierung eines angeblichen „dritten Geschlechtes“ im Zuge der Anerkennung von Intersexualität wird vor allem von der Transgender-Front schamlos für ihre Lobbypolitik instrumentalisiert, um im Fahrwasser der Intersexualität die eigenen Interessen analog mit durchzusetzen.

Es ist wenig hilfreich für die Intersexuellen selbst, die Existenz der „Vielfalt“ von Geschlecht herbeizureden, indem man die körperliche Anomalie der Intersexualität mit allen anderen, frei erfundenen Geschlechterdefinitionen gleichsetzt. Es nutzt aber der Translobby, daß Trans- und Intersexualität immer gemeinsam und teilweise fast schon synonym verwendet werden, weil selbst Teilnehmer am Diskurs den substantiellen Unterschied nicht begreifen.

Die Rechtsfolgen der Schaffung der Option „divers“ in der Geschlechterliste hat bereits massive Auswirkungen auf zahlreiche Lebensbereiche, und das, obwohl wir nicht einmal staatlich erfassen, für wie viele Menschen wir hier tatsächlich ein ganzes Land umkrempeln. Wahrscheinlich existieren inzwischen mehr Rechtanwälte und Lobbyisten für Intersexuelle als Betroffene selbst. Es ist eine Phantomdebatte auf Kosten aller.






Birgit Kelle, Jahrgang 1975, publiziert als freie Journalistin für verschiedene Druck- und Onlinemedien im deutschsprachigen Raum. Die Mutter von vier Kindern ist Autorin vieler Bestseller wie der Feminismus-Kritik „Dann mach doch die Bluse zu“ oder der Streitschrift „Muttertier“ sowie Mit-Autorin zahlreicher anderer Bücher.

Birgit Kelle: Noch normal? Das läßt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung, FinanzbuchVerlag, München 2020, geb., 250 Seiten, 19,99 Euro. Der Beitrag auf dieser Seite ist – mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag – ein adaptierter Auszug aus dem Buch.

Foto: Symbole für Mann, Transmann, weiblich Androgyn, Zwitter, Transgender und Frau: Biologische Zwischenformen sind möglich, diese bilden aber kein eigenes Geschlecht