© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Weder gesundheits- noch klimafreundlich
Unsolide Studien heizen das Geschäft mit pflanzlichem Fleischersatz an / Haßtiraden gegen Skeptiker
Christoph Keller

Wer glaubt, moralischen Imperativen gehorchen zu müssen, um sich die Anerkennung des Zeitgeistes zu sichern, der huldigt heute dem zivilgesellschaftlichen Klima-Gott. Zu den Geboten zählen nicht nur das E-Mobil oder die monetäre „CO2-Kompensation“, sondern auch der Verzicht auf Fleisch: Ausschließlich wer sich pflanzenbasiert ernähre, lebe „klimabewußt“ und gesund, heißt es.

Bei der Fleischverdammung finden sich ansonsten so unterschiedliche Zeitgenossen wie der Vegan-Koch und Impfgegner Attila Hildmann oder Ex-Microsoft-Chef Bill Gates, der mit seiner Milliardenstiftung nicht nur Impfkampagnen, sondern auch Fleischersatzprodukte („Clean Meat“) sponsert, auf der selben Seite wieder.

Sind Veganer gebildeter, schlanker und sportlicher?

Doch die Verbreitung von wissenschaftlich bemänteltem Nonsens ist kein Privileg mehr von Gender und Postcolonial Studies oder „Kritischer Weißseinsforschung“. Johannes Scholl, Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin (DAMP), bezweifelt das grüne Gebot „fleischfrei – gesund und klimafreundlich“, da dessen kernige Behauptung oft auf „unsoliden Studien“ beruhe (Deutsches Ärzteblatt, 27-28/20). Das zeigt der Ernährungs- und Sportmediziner anhand eines Streits um das Pro und Contra fleischloser Kost auf.

Auslöser ist eine 2019 im US-Fachorgan Annals of Internal Medicine (AIM) veröffentlichte Artikelserie. Darin kamen die Autoren, darunter der Kanadier Gordon H. Guyatt (McMaster University, Hamilton/Ontario), der „Vater der Evidenzbasierten Medizin“, zu dem Resultat, daß es keine stichhaltigen Belege dafür gebe, eine Empfehlung zur Reduktion des Fleischverzehrs zu rechtfertigen. Guyatt und seine Kollegen fordern daher, daß Ernährungsratschläge für die Allgemeinbevölkerung sich künftig nicht auf schwache oder sehr schwache Evidenz stützen dürften, wie das inzwischen schlechte Praxis sei. Seit Jahrzehnten habe eine Spielart der Ernährungsepidemiologie die Ernährungsleitlinien dominiert, deren Qualität der Daten und Analysen zunehmend Kritik ernte.

Bereits die Erhebung von Ernährungsgewohnheiten über Fragebögen beinhalte viele Ungenauigkeiten und korreliere nur unzulänglich mit dem tatsächlichen Verzehr bestimmter Lebensmittel. Zudem seien solche Kohorten-Studien notorisch anfällig für systematische Fehler. Man beobachte dabei zwar die freiwillig gewählte Ernährung der Probanden, aber lasse eine Vielzahl anderer Gesundheitsfaktoren außer Acht. So seien Gruppen mit geringem Fleischverzehr im Schnitt auch gebildeter, schlanker, sportlich aktiver und seltener Raucher – also insgesamt deutlich gesünder als die Vergleichsgruppen der Fleischesser.

Die bessere Gesundheit der Vegetarier und Veganer lasse sich nicht monokausal auf deren Fleischabstinenz zurückführen, sondern auf eine Vielzahl von Faktoren, unter denen Sport sowie der Tabak- und Alkohol-Verzicht eine zentrale Rolle spielten. Fleischgenuß allein sei nicht ungesund, wie auch die Studie der Women’s Health Initiative (WHI) beweise. Bei dieser Untersuchung reduzierten die auf fettarme Ernährung eingestellten Frauen ihren Fleischverzehr um zwanzig Prozent. Es habe aber keine Unterschiede bei Gesamtmortalität, Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gegeben.

Wie ideologisiert mittlerweile selbst die Medizin sei, demonstriert Scholls Schilderung der Reaktion auf die Guyatt-Studie: Das sei ein „aufsehenerregender Vorgang in der Welt der Wissenschaft“ gewesen. Schuld daran trug die von Medizinern, Wissenschaftlern und Aktivisten aus „über 40 Ländern“ getragene True Health Initiative (THI). Diese warfen einen zu Guyatts Team zählenden Kollegen von der Texas A&M University (Tamu) „Bestechlichkeit“ vor, weil seine staatliche Hochschule auch Spendengelder der Fleischindustrie in Höhe von 1,5 Prozent des Gesamtbudgets erhalte.

„Gesundheitsschädliche Desinformation“

Doch in dieser diffamierenden Unterstellung erschöpfte sich die „geradezu panikartige Reaktion“ der THI nicht. Noch vor der Publikation der AIM-Artikelserie waren unter Bruch üblicher Vertraulichkeitsvereinbarungen Informationen durchgesickert, mit denen die THI-Apostel fleischfreier Ernährung öffentlich mobilisierten. Man verlangte von den Herausgebern der Zeitschrift, die Artikelserie zurückzuweisen und drohte juristische Schritte an wegen „gesundheitsschädlicher Desinformation der Bevölkerung“. Der E-Mail-Briefkasten von AIM-Chefredakteurin Christine Laine wurde mit Haßbotschaften überflutet und mußte stillgelegt werden.

Doch der Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft scheiterte, weil – wie die Medizinjournalistin Rita Rubin im Journal of the American Medical Association aufdeckte – die THI-Fleischgegner selbst unseriös argumentieren. Nicht die Texaner, vielmehr die aggressive Gruppe um THI-Gründer David L. Katz (Yale-Professor und bis 2015 Direktor des Integrative Medicine Center am Griffin Hospital in Derby, Connecticut) habe Interessenkonflikte zu verbergen. Etliche THI-Mitglieder erhielten Forschungsgelder und Sponsoring von Lebensmittelkonzernen, die primär pflanzliche Produkte herstellen. Aushängeschilder des THI-Partners „#NoBeef“ sind die prominenten Veganer Peter Gabriel und Paul McCartney.

Eine derartige „Auftragsforschung“ sei, wie Scholl ergänzt, kein Einzelfall, begrenzt auf das Umfeld von US-Elite-Unis. Nicht nur Start-ups wie „Beyond Meat“ oder große Konzerne heizen den „wissenschaftlichen“ Trend zum Kunstfleisch an. Dahinter steckten Investoren wie die Gründerin der Eat-Foundation, die 41jährige Ärztin und norwegische Milliardärs-Gattin Gunhild Stordalen, die der Weltbevölkerung eine für Arme unerschwingliche Rohkost-Diät („Planetary Health Diet“) verordnen möchte, oder Bill Gates, der die Vegan-Firma Impossible Foods mitfinanziert. Die anfangs bescheidenen Umsätze mit veganen Produkten haben sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht.

Wo es aber ums Geschäft geht, häufen sich Interessenkonflikte. So habe David Cameron mit „The Game Changers“ eine Netflix-Doku mitproduziert, die die „wissenschaftlichen“ Vorteile veganer Ernährung für Spitzensportler preist. Daß der kanadische Regisseur Geld in eine Firma zur Herstellung von Pflanzenprotein aus Erbsen investierte, verriet der Film mit Arnold Schwarzenegger den Zuschauern nicht – ebenso die umfangreiche Liste chemischer Zutaten in Pflanzenfrikadellen & Co.

Dazu zähle das Bindemittel Methylzellulose, die Grundsubstanz des Tapetenkleisters. Wenn fleischlos kein Synonym für gesund ist, so zumindest eins für klimafreundlich? Nein, wer glaubt, durch Fleischverzicht das Weltklima retten zu können, den verweist Scholl auf den deutschen Agrarprofessor Frank Mitlöhner (University of California/Davis). Der habe faktenbasiert errechnet: Selbst wenn ganz Deutschland vegan äße, wäre der Einfluß auf den weltweiten CO2-Ausstoß „nicht einmal meßbar“.

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