© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/20 / 18. September 2020

Leserbriefe

Zum Schwerpunktthema: „Ein Mann geht seinen Weg“, JF 37/20

Intelligent wie zuletzt Schmidt

Der geradezu teuflisch gut informierte Moritz Schwarz hat wieder in einem äußerst klug geführten Interview mit dem seit Helmut Schmidt intelligentesten Vertreter der SPD umfassend dessen politische Einsichten und menschliche Qualitäten aufscheinen lassen, was auch und gerade eine Zeitung ehrt, welche die Debatte als ihr Leitbild ausgibt. Die JF sollte sofort einen Extra-Druck des Interviews herausgeben, das allen „Gutmenschen“ die verklebten Augen öffnen könnte!

Wolfgang Jäger, Dortmund




Zeugnis von Stil und wahrer Größe

Sehr lesenswert war das Interview mit Thilo Sarrazin. Seine Bücher sind sachlich geschrieben und nicht sensationslüstern. Zudem sind sämtliche Fakten mit Zahlen und Statistiken zweifelsfrei belegt. Und was macht der politische Mainstream? Er knüppelt verbal auf ihn ein, wohlwissend, daß er nicht widerlegt werden kann, anstelle einmal die gewaltigen Probleme zu behandeln, die in diesem Lande längst am Brodeln sind. 

Doch trotz all dieser Frechheiten, Dreistigkeiten, Unverschämtheiten und Lügen, mit denen sich Herr Sarrazin auseinandersetzen muß, verliert er in diesem Interview niemals seine Contenance. Er begibt sich nicht auf dasselbe Niveau herab wie seine Gegner, sondern bemitleidet diese Ignoranten und Unwissenden. Das zeugt von Stil und wahrer Größe!

Andreas Schlömer, Willingen




Außereuropäisch erst seit 1961

Achtung dem gelernten Volkswirt Sarrazin, der sich in fortgeschrittenem Alter als Sachbuchverfasser noch in solche unterschiedlichen Gebiete wie Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik einarbeitet. Auch zu vorgeschichtlichen Völkerwanderungen läßt er sich ein. Dabei unterscheidet er zwischen innerdeutscher Wanderung (Ruhrpolen), inner- (Angelsachsen, Wikinger) und außereuropäischer Migration (Mauren, Osmanen). Zu letzterer vermerkt er: „Seit den Indogermanen um 2800 vor Christus hat es 5.000 Jahre lang bis 1960 keine nennenswerte außereuropäische Einwanderung nach Europa gegeben.“ 

Dabei bezieht er sich auf die wissenschaftliche Hauptströmung, die behauptet, daß die mitteleuropäischen Indogermanen wie Kelten, Italiker, Germanen u.a. eingewandert wären, und zwar aus dem Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres. Sprachrohr dieser Vermutung ist Marija Gimbutas, Tübingen, Harvard. Ohne größere Wanderung kommt die sich auf Gewässernamen stützende Alteuropa-Annahme aus, deren letzter Vertreter Jürgen Udolph, Leipzig, ist. Der Spatenkundler Alexander Häusler, Halle, stellt fest, daß „sich in Mittel- und Nordeuropa für die Zeit seit dem Mesolithikum keine Anzeichen von Einwanderungen aus der Ferne nachweisen lassen“. Er geht von Besiedlungs- und Bevölkerungsstetigkeit aus. Die indogermanische Sprache, nur mundartlich gegliedert, sei durch Berührungsanverwandlung aufgrund Verkehrsgemeinschaft nahe verwandter Sprachen geworden. Abgesehen von der Anatolien-Annahme spielen sich alle im innereuropäischen Rahmen ab. 

Demnach gab es die erste außereuropäische Einwanderung doch erst mit den Gastarbeitern durch die Anwerbeabkünfte seit 1961 (Türkei) und aus Marokko (1963) und Tunesien (1965).

Jens Görtzen, Rendsburg






Zu: „Die ‘Reichskirche’ war tot“ von Gernot Facius, JF 37/20

Begriffe ihres Inhalts beraubt

1945 wurden Weichen gestellt, in den Familien, in der Politik und eben auch in den Kirchen. Dem Bedürfnis nach Freiheit und Eigenständigkeit folgte der Machtapparat, eine kausale Folge großer organisierter Einheiten. Weitaus markanter ist der inhaltliche Niedergang der EKD. Die Mutation von einer „Volkskirche“ zu einer links-grünen NGO ist so ziemlich vollzogen. Nicht die Säkularisierung der Gesellschaft ist hierbei das Hauptübel, sondern die „freiwillige“ Unterwerfung der EKD unter den antigöttlichen Mainstream. Die eigentliche Kernkompetenz der Kirche, nämlich die Botschaft der Transzendenz in der Person Jesus Christus wird konsequent marginalisiert. Begriffe werden ihres Inhaltes beraubt und ausgetauscht. Aus Nächstenliebe wird Willkommenkultur, aus Himmel und Hölle der alte linke Traum von einer gerechten Gesellschaft. So werden die Menschen einer Perspektive beraubt, die über das Klein-Klein des irdischen Lebens hinausgeht. Ohne eigene substantielle Gotteserfahrungen negieren weite Teile des Klerus die Realität Gottes, entsprechend substanzlos ihre Botschaft. „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließet vor den Menschen! Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hineingehen.“

Robert Renk, Warthausen






Zu: „Vorsorge für den Ernstfall in 50.000 Jahren“ von Christoph Keller, JF 37/20

Ausreichende Recherche?

In diesem Beitrag zur Endlagersuche wird Österreich genannt. Die Bürger hatten sich in einer „Volksbefragung“ knapp gegen die Kernenergienutzung (KKW Zwentendorf) ausgesprochen. Es war keine „Volksabstimmung“, wie es bei Ihnen heißt. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Kanzler Kreisky hätte auch anders entscheiden können. 

Zum Endlager „Asse“ sollte man wissen, daß das radioaktive Inventar dieser Kaligrube (radioaktiver Kali-Dünger) vorher größer war als nun durch die Einlagerung von Abfallstoffen aus KKW. Das Bild von den Fässer-Haufen weckt natürliche Ängste. So schlecht ist das aber nicht. Weil zum Beispiel Salz dann besser zur Trennung der Fässer beitragen kann. Das im Beitrag genannte „Betonit“ wird in Fachkreisen als „Bentonit“ bezeichnet. Es ist ein übliches Trennmittel bei der Endlagerung von Behältern mit radioaktiven Reststoffen. Ein Beispiel ist das schwedische Endlager „Forsmark“. Es stellt sich auch die Frage, was ist mit ähnlichen Abfall-Stoffen (erhebliche Mengen) aus der medizinischen Anwendung? Im übrigen: Jeder Standort eines Kernkraftwerkes wird Endlager-Standort werden! Kein Bundesland wird sich bereit erklären, einen Ort zur Verfügung zu stellen. Alle Kommissionen werden nur heiße Luft produzieren.

Dipl.-Ing. Eberhard Wagner, Bensheim






Zu: „Große Corona-Umfrage“, JF 36/20

Wissenchaftlich nicht haltbar

In 38 Jahren hausärztlicher Tätigkeit (bis 31. März 2020) in einer großen Landarztpraxis und sicher millionenfacher Patientenkontaktierung habe ich niemals so viel Verworrenes und wissenschaftlich nicht Haltbares an Ergebnissen erlebt. Im Gegensatz zu den Haus- und Hofvirologen der Veterinärmedizinischen Abteilung habe ich in vier Jahrzehnten Praxis nahezu alle „Pandemien“ erlebt und auch ohne großen Schaden für meine Patienten überstanden. Das können die in jeder Sendung der Propaganda-Anstalten gezeigten Mainstreamer sicher nicht vorweisen.

Dr. med. Andreas Johannes Sam, Breuberg




Beispielhaft Boris Johnson

Selbst Arzt – zwar kein Hygieniker oder Virologe, sondern Chirurg – bin ich fest davon überzeugt, daß wir in Deutschland die bisher so glimpflich verlaufende Epidemie den konsequenten Vorsorgemaßnahmen zu verdanken haben. 

Der britische Premierminister Boris Johnson nahm die Corona-Epidemie nicht ernst, bis er selbst daran erkrankte und sogar auf der Intensivstation behandelt werden mußte. Jetzt nimmt er diese Krankheit auch ernst. Es ist keineswegs so, daß hauptsächlich alte Menschen mit allen möglichen Vorerkrankungen besonders schwer an dieser Krankheit zu leiden haben. Wie ich medizinischen Zeitschriften entnehmen konnte, ist es auch bei jungen Menschen zu sehr schweren Verlaufsformen und Todesfällen gekommen. Und was noch zu bedenken ist: Selbst bei leichten Verlaufsformen kann es zu Spätschäden kommen, die immerhin in ein Prozent der Fälle auftreten. 

In den USA (wo Trump bei seinen Wahlkampfauftritten keine Abstandsregeln einhält und auch keine Maskenpflicht) sowie in Brasilien, wo keine so strenge Maßnahmen angeordnet wurden, ist es zu jeweils weit über hunderttausend Corona-Toten gekommen. Deshalb bin ich schon dafür, daß die bei uns eingeführten Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Natürlich ist es berechtigt, in den Bundesländern, wo es nur sehr wenige Erkrankte gibt, die Regeln zu lockern.

Dr. Karl Maria Heidecker, Bingen






Zur Meldung: „Bundesarbeitsgericht gegen Kopftuchverbot“, JF 37/20

Gesetz vom Zeitgeist kassiert

Das Bundesarbeitsgericht hat seit gut zwanzig Jahren seinen Sitz in meiner Heimatstadt Erfurt. Das unspektakuläre Äußere, ganz Beispiel des modernistischen Stils im zeitgenössischen Bauen (siehe Léon Krier), mag mit den nüchternen Urteilen, die in seinem Inneren gefällt werden, gut korrespondieren. Wird jedoch noch öfter im Tenor des Urteils vom 27. August des Jahres entschieden, wäre die Fassade dieses Gebäude vielleicht besser mit einem Spruch aus dem Koran zu versehen – im Sinne der Ausgewogenheit dann aber auch noch mit Versen aus Tora und Bibel. Es heißt nun: Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen diskriminiere eine Klägerin wegen ihrer Religion. Das Land Berlin verwies nach entsprechendem Bewerbungsgespräch auf sein aus dem Jahr 2005 stammendes Neutralitätsgesetz, das unter anderem Lehrern verbietet, im Dienst religiöse Symbole zu tragen. 

Nun ist dieses Gesetz in Teilen also verfassungswidrig. Man darf gespannt sein, welche Gesetze demnächst im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit unserem Grundgesetz und dem Zeitgeist kassiert werden. Für mich sieht es eher nach einem weiteren Schritt in Richtung Unterwerfung nach Michel Houellebecq aus.

Jürgen Werth, Erfurt






Zu: „Das Morden ging weiter“ von Jan von Flocken, JF 36/20

Berüchtigtes Lager Jamlitz

Es gab insgesamt 11 Internierungslager. Eines der berüchtigtsten war das Lager Nr. 6 Jamlitz bei Lieberose. Es existierte vom September 1945 bis April 1947. Von den etwa 13.000 Insassen überlebten etwa 3.500 die grauenvollen Haftbedingungen nicht. Nach Auflösung des Lagers wurden die Überlebenden nicht etwa entlassen, sie kamen in andere Lager, beispielsweise Buchenwald, oder wurden nach Sibirien deportiert. Interniert waren Männer, Frauen, Greise, Kinder zwischen 12 und über 70 Jahre alt. Nazigrößen waren nicht darunter, wohl aber Juden, Christen, Kommunisten, KZ-Häftlinge. Der wohl prominenteste Häftling war Gustaf Gründgens. Bekannte deutsche Kulturschaffende, zum Beispiel Erich Kästner, versuchten vergeblich, Gründgens freizubekommen. Das gelang erst dem berühmten Sänger und Kommunisten Ernst Busch. An ihm kamen die sowjetischen Verantwortlichen nicht vorbei. Ein weiterer interessanter Insasse war Georg Groszer, Mitbegründer der kommunistischen Partei der Slowakei, KZler in der Nazizeit. Nach seiner Haftentlassung wurde er stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschland. Mein Vater überlebte das Lager Jamlitz nicht. Eine Benachrichtigung über seinen Tod haben wir nie bekommen.

Dr. Joachim Vobian, Mühltal






Zum Schwerpunktthema: „Laßt uns schöner bauen“, JF 35/20

Jede Verantwortung gemieden

Das Interview, das Moritz Schwarz mit Professor Léon Krier geführt hat, legt den Finger auf zahllose Architekturwunden. Gleichwohl hat die Moderne als Kulturepoche unbestreitbar auch ausgezeichnete Architekturbeispiele von perfekter Harmonie zu bieten. 

Entscheidend für die Akzeptanz und Dauerhaftigkeit von Architektur ist tatsächlich die Schönheit der Gesamtschöpfung. Die Bausünden der zeitgenössichen Architektur, wie wir sie seit den späten 1960er Jahren erleben, beginnen in der Regel bei der Bauordnung und enden heute beim Investorenverhalten. Gerade bei großen Vorhaben sind Planungsprozesse und Bauabwicklung offenbar heute so geartet, daß jede Form von Verantwortlichkeit vermieden wird. Das Ergebnis sind gesichts- und seelenlose Gebäudekomplexe, die nach anfänglichem Hype sehr bald wieder gemieden werden. Die vielen Satellitenstädte in Ost und West sind hierfür beredte Beispiele. Seinerzeit wurden sie unter Beratung von Soziologen und Psychologen projektiert – wo sind diese Schwätzer jetzt, wo diese Viertel der Asozialität preisgegeben sind? 

Den erträumten Neuen Menschen in einer neuen Stadt für eine neue Gesellschaft gibt es nicht. Dieser Mensch möchte nämlich heimelig wohnen, wenn möglich im Einfamilienhaus. Und schon wird politisch gegen den ach so unökologischen Einfamilien-Hausbau gewettert. Aber nur hier, in der Kleinstruktur der Familie, wird Nachhaltigkeit erst realistisch. Auch das traditionalistische Bauen ist hier viel eher möglich. Leider hat die Architektenherrschaft den Einfamilien-Hausbau als Auftragsfeld fast ausnahmslos den Bauingenieuren überlassen, deren gestalterischer Anspruch in der Regel reduziert ist. Stilistische Leitideen, wie sie bis in die 60er Jahre noch maßgebend waren, gibt es nicht mehr, und Bebauungsplan-Vorgaben werden von Juristen mit boshafter Regelmäßigkeit ausgehebelt. 

Um so mehr wird es Aufgabe anspruchsvoller Architekturbüros sein, bei größeren Projekten sich wieder auf 4.000 Jahre baukünstlerischer Tradition zu besinnen, handwerklich gute Details, traditionelle Baustoffe und endlich die schöne Form zu entwickeln. Denn was den Gesetzen der Harmonie entspricht, ist seltsamerweise automatisch zweckmäßig und meist auch nachhaltig.

Professor Thomas Oyen, Neubrandenburg