© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Duell auf Distanz
CDU-Spitze: Die Kandidaten für den Parteivorsitz sollen nicht zuviel streiten und das Harmoniebedürfnis der Basis berücksichtigen
Jörg Kürschner

Eigentlich müßte die CDU-Spitze hochzufrieden sein. Umfrageergebnisse zwischen 35 und 38 Prozent ein Jahr vor der Bundestagswahl, Partei inhaltlich geschlossen, Streithähne verstummt. Sogar das komplizierte Verhältnis zur CSU-Schwester erreicht Spitzenwerte auf der nach oben offenen Harmonieskala. Eigentlich. Denn im Konrad-Adenauer-Haus sowie in den CDU-geführten Staatskanzleien von Saarbrücken bis Dresden blickt man mit Sorge auf den 4. Dezember, den Parteitag in Stuttgart. Wichtigster Tagesordnungspunkt: Wahl eines Bundesvorsitzenden.  

Ein halbes Jahr dauert mittlerweile der innerparteiliche Wahlkampf zwischen den Kandidaten Friedrich Merz, dem Tandem Armin Laschet und Jens Spahn sowie Norbert Röttgen. Alle Versuche der gescheiterten Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die Bewerber zu einer internen Einigung, also Verzicht, zu bewegen, waren vergebens. Und nichts spricht dafür, daß sich daran bis zum Parteitag noch etwas ändert, ungeachtet des Harmoniebedürfnisses der Basis. Am Montag will AKK mit den drei charakterlich höchst unterschiedlichen Bewerbern über einen fairen Wahlkampf reden, damit „aus diesem offenen, demokratischen Wettrennen kein ruinöser Wettbewerb wird“.

Der Bewerber-Marathonlauf ist der Pandemie geschuldet, ursprünglich sollte der neue Parteichef bereits im April gekürt werden. Mit der Folge, daß sich die Kandidaten zunehmend ruppiger gebärden. Und skurriler. In der soeben erschienenen Laschet-Biographie „Der Machtmenschliche“ ist davon die Rede, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident stamme von Karl dem Großen ab (gestorben 814). „Mit Vorfahren aus großen deutschen Kaiserhäusern kann ich leider nicht dienen“, spöttelte daraufhin Konkurrent Merz, der sich wiederum den indirekten Vorwurf der Homophobie vom schwulen Spahn einfing. Merz hatte in seiner Haltung zu einem möglichen homosexuellen Bundeskanzler Bezug auf Pädophilie genommen. Spahn reagierte gereizt: „Wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten“. Abseits dieser eher persönlichen Scharmützel sind die Kandidaten derzeit auf Bewerber-Tour in den Parteigliederungen. Unterschiede gibt es im Auftreten wie in den Inhalten. 

Etwa auf dem Niedersachsentag der Jungen Union in Hildesheim. Schneidig und angriffslustig der eine, integrativ und staatsmännisch der andere. Merz sprach von klarer Kante, „auch auf die Gefahr hin, daß uns Teile der Bevölkerung widersprechen“. Ganz anders Laschet. Man müsse den Wählern sagen, „wir wählen jetzt nicht den Bruch mit Angela Merkel. Wir wählen Kontinuität“.  Aufschlußreich ließ sich Merz zur Merkel-Nachfolge ein. Die CSU habe den Kanzlerkandidaten immer dann gestellt, wenn die CDU nicht liefern konnte. „Ich sehe eine solche Lage für das Jahr 2020 nicht“. Mitbewerber Röttgen, der in den Umfragen deutlich hinter Söder, Merz und Laschet liegt, kann sich dagegen den CSU-Chef als gemeinsamen Kanzlerkandidaten vorstellen. Es wäre eine „Riesenleistung“ für die Union, nach 16 Jahren CDU-Kanzlerschaft einen CSU-Kandidaten in das Amt zu bringen, ließ er kürzlich wissen.

Immer wieder warnen CDU-Granden vor einer Überbewertung der guten Umfragen, die auf dem Corona-Management von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beruhten. Daß eine Amtsinhaberin bis zur Wahl regiert, bei dieser aber nicht mehr antritt, ist in der bundesdeutschen Parteiengeschichte einmalig. Was die Parteizentrale verunsichert, fehlt doch eine Blaupause für den Wahlkampf. Es gibt führende CDU-Politiker, die die Lage ihrer Partei als „schlecht“ beurteilen. Sogar vor einer Spaltung wird gewarnt, etwa von CDU-Bundesvize Silvia Breher. Sie verlangte von den Kandidaten, „sie sollten schon heute ihre Anhänger darauf einschwören, nach der Wahl das große Team CDU zu sehen und dafür zu streiten“. Und es gibt ein weiteres Novum. Erstmals sind die Sozialdemokraten nicht mehr die Hauptgegner der CDU. 2021 gelten die Grünen als die wirklichen Herausforderer, dementsprechend werden die Schwerpunkte im Unions-Wahlprogramm gesetzt. Der Wettstreit wird darum gehen, wie sich Ökonomie und Ökologie sinnvoll verbinden lassen, um den Wohlstand zu erhalten.

Im Osten sind die Grünen weniger wichtig 

Auf Regierungserfahrung mit den umworbenen Grünen kann Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bereits verweisen. Daß Schwarz-Grün im Bund nicht seine Lieblingskoalition ist, daraus machte er jüngst auf einer geselligen Abendveranstaltung der Thelen-Consult in Berlin keinen Hehl. Was die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz sichtlich überraschte, steht doch diese Konstellation im Regierungsviertel hoch im Kurs. Zu hoch? Im Osten sei die Bedeutung der Grünen geringer, merkt Kretschmer an, der seit bald einem Jahr eine Kenia-Koalition (CDU, SPD, Grüne) anführt. Man begegne sich trotz der deutlich schlechteren Wahlergebnisse seiner Bündnispartner auf Augenhöhe. Dabei hätte es mit der AfD locker gereicht für eine Regierungsbildung. Kein Thema für den sächsischen Regierungschef; zur Erleichterung seiner Zuhörer in Sichtweite des Kanzleramts.