© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

So jung, so bunt, so progressiv
Volt: Kleinpartei erzielt einen Achtungserfolg im Westen
Ronald Berthold

Mit einem radikal proeuropäischen Kurs kann die neue Partei Volt bei Teilen der urbanen Elite punkten. Nach dem Einzug ins EU-Parlament gelangen ihr nun auch bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl einige Erfolge (JF 39/20). In Köln holte sie 4,98 Prozent und landete 0,6 Punkte vor der AfD. Beide ergatterten vier Sitze. Ähnlichen Zuspruch erhielt Volt in Bonn. Und in der Studentenstadt Münster stimmten 2,6 Prozent der Wähler für Volt – ebenfalls mehr als für die AfD.

Auf Landesebene blieb es zwar bei lediglich 37.590 Stimmen (0,5 Prozent, 13 Sitze), fast alle kamen dabei aus den drei Städten. Aber die Partei trat auch nicht flächendeckend an. Entwickelt sich hier ein neues Phänomen, wie einst die Piratenpartei?

Ihr Potential schöpft Volt, die es erst seit 2018 gibt, aus dem linken Lager. Parteigründer Damian Boeselager zog vor einem Jahr als einziger Abgeordneter ins Europaparlament ein. Der 32jährige schloß sich der Grünen-Fraktion an. Allerdings nimmt die neue Bewegung den Grünen nicht unbedingt Stimmen weg. In Köln, Bonn und Münster konnte die Habeck-Truppe jeweils deutlich zulegen und landete überall bei um die 30 Prozent.

Besser als die „äußerste Rechte“ abgeschnitten

Wofür steht Volt? Auf sich aufmerksam machte sie zunächst bei den Anfängen der „Fridays for Future“-Proteste. Sie fordert eine radikale Klimapolitik. Hauptanliegen ist aber eine europäische Zentralregierung. Die jetzige EU-Politik geht Boeselager immer noch nicht weit genug. Er nennt sie „mittelalterlich“. Die Verhandlungen um die Corona-Hilfen für die Süd-Länder geißelte er in der Frankfurter Rundschau scharf: „Die Fürsten und Fürstinnen treffen sich, um ihre Interessen auszuhandeln, der Sparsame gegen die Verschwenderischen.“

Sein Hauptkritikpunkt: Die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten würden zu häufig nationale Interessen vertreten: „Wir finden, daß die großen Themen unserer Zeit eben nicht mehr national gelöst werden können und daß die nationalistischen Strömungen eben gerade unser Problem sind.“ „Populistische Versprechen“ gefährdeten den Frieden in Europa. So jubelte er am Abend der NRW-Wahl auf Twitter auch vor allem darüber, in Köln besser als die AfD abgeschnitten zu haben. Sein größter Traum sei wahr geworden: vor der „äußersten Rechten“ zu landen.

Aus der Taufe hob Boeselager die Partei anläßlich des Volksentscheides in Großbritannien. Als das Land 2016 entschied, aus der EU auszusteigen, wollte der Student mit zwei Kommilitonen, einem Italiener und einer Französin, einen Gegenpol setzen – kurz darauf auch gegen die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten: „Wir waren geschockt.“

Eine grenzübergreifende, paneuropäische Kraft sollte her. Im März 2017 gründete das Trio Volt offiziell als Bewegung, ein Jahr später wurde diese in Deutschland als Partei zugelassen. Auch wenn der Abgeordnete stolz darauf verweist, als einziger in Brüssel über eine europaweite Partei zu verfügen und einmal pro Woche mit seinem europäischen Vorstand zu telefonieren, so kann diese dennoch bisher ausschließlich in Deutschland reüssieren. Nur hier ergatterte Volt, obwohl in sieben Ländern angetreten, mit 0,7 Prozent einen Sitz fürs Parlament. Nach eigenen Angaben ist Volt in 29 Staaten aktiv und hat 4.720 Mitglieder. 55.000 Europäer hätten sich darüber hinaus freiwillig für die Partei engagiert.

Nicht so recht zum Gutmenschentum paßt auf den ersten Blick die Tätigkeit des deutschen Parteigründers für die in linken Kreisen verhaßte Unternehmensberatung McKinsey. Nach eigenen Angaben hat er dort aber von 2013 bis 2016 auch eine Organisation für Waisenkinder beraten. So bleibt dieser Teil der Vita einigermaßen kompatibel mit dem verkündeten „progressiven“ Weltbild der Partei. 

Der Masterabsolvent des Studiengangs für Öffentliche Verwaltung entstammt einem bekannten Adelsgeschlecht. Sein vollständiger Name lautet: Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager. Er ist der Enkel Philipp Freiherr von Boeselagers, der als einer der wenigen Widerstandskämpfer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg das gescheiterte Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 und die anschließende Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime überlebte.

Von den konservativ-patriotischen Ansichten seines Opas hat sich der Sproß indes weit entfernt. Auf ihrer Webseite beschreibt Volt die Ziele in nicht konsequent gegenderter Sprache so: „Deswegen wollen wir ein vereinigtes Europa mit einer echten europäischen Demokratie. Wir wollen ein starkes Europaparlament, das Gesetze vorschlagen kann und eine*n europäische*n Ministerpräsident*in wählt, die/der sich vor unseren Volksvertretern verantworten muß. Wir wollen eine echte europäische Regierung, die im Interesse aller Europäerinnen und Europäern handelt.“

Die Partei hat sich inzwischen ein 200seitiges Grundsatzprogramm gegeben. Es gilt für die gesamte EU, die Volt reformieren möchte. Der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, wird demnach abgeschafft. Das Europäische Parlament soll nicht nur eine Regierung bestimmen können, sondern auch ein Initiativrecht erhalten. Bisher kann es die Entscheidungen der Kommission tatsächlich nur bestätigen oder ablehnen. 2021 will Volt in den Bundestag einziehen.

Die politische Landschaft in Nord-rhein-Westfalen sei nun mit Volt „ein Stück jünger, bunter und progressiver“, freut sich die Parteispitze, die überwiegend aus unter Dreißigjährigen besteht.