© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Die Macht der Morialisten
Asyl: Länder und Kommunen wollen mehr Migranten aufnehmen/ Der Bund bremst
Peter Möller

Für die Teilnehmer der Demonstrationen, die am Wochenende in mehreren deutschen Städten stattfanden, ist die Sache klar: „Es reicht! Wir haben Platz“ lautete das Motto der Protestzüge, zu denen unter anderem Lobbyorganisationen wie Pro Asyl, das Bündnis Seebrücke sowie Fridays for Future und die evangelische Kirche aufgerufen hatten. „Wir haben Platz“ stand auch auf vielen Plakaten und Transparenten, die die Teilnehmer der Demonstrationen in Berlin, Köln, München und weiteren Städten mit sich führten und mit denen sie für die Aufnahme möglichst vieler Flüchtlinge aus dem bei einem Feuer zerstörten Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos werben wollten. Ihnen geht die von der Großen Koalition in der vergangenen Woche erzielte Einigung, nach der zusätzlich zu den geplanten 150 unbegleiteten Minderjährigen 1.553 weitere Menschen von Lesbos nach Deutschland einreisen dürfen, nicht weit genug. Unterstützung erhalten die Demonstranten von mehreren Bundesländern, Kommunen und Städten, die sich öffentlichkeitswirksam bereit erklärt haben, neben den vom Bund zugewiesenen Asylbewerbern, zusätzlich Flüchtlinge aufzunehmen.

Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) konnten die Befürworter einer kommunalen Aufnahmepraxis bislang nicht überzeugen. Sein Ministerium beharrt darauf, daß es sich bei der Entscheidung über die Einreise von Asylbewerbern um eine hoheitliche Aufgabe des Bundes handelt und nicht im Ermessen einer Landesregierung oder gar eines Bürgermeisters einer deutschen Kleinstadt liegt. Denn so die Argumentation des Ministeriums: Auch wenn sich beispielsweise eine Stadt wie Gießen großzügig zeigt und freiwillig mehr Flüchtlinge aufnimmt als gemäß dem Königssteiner Schlüssel, der die Verteilung von Asylbewerbern auf die Bundesländer regelt, müssen am Ende im Zweifelsfalle alle für die Flüchtlinge aufkommen, da nicht auszuschließen ist, daß die Asylbewerber in ein anderes Bundesland weiterwandern.

Ende August hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer Sommer-Pressekonferenz auf das Problem der Folgekosten hingewiesen und beklagt, daß die Aufnahmebereitschaft der Bundesländer manchmal darin münde, daß sie anschließend die Bundesregierung nach finanzieller Unterstützung fragten. „Man kann nicht unbegleitete minderjährige Kinder aufnehmen und dann anschließend sagen: Jetzt wollen wir aber gerne, daß der Aufenthalt der unbegleiteten minderjährigen Kinder auch mit Bundesanteilen finanziert wird“, sagte Merkel.

„Blockade gegen aufnahmebereite Länder“

Dennoch geben die Befürworter einer regionalen Aufnahmepolitik nicht auf. In der vergangenen Woche scheiterten Berlin und Thüringen im Bundesrat mit einer Initiative zur eigenständigen Aufnahme von Asylbewerbern. Der Vorschlag sollte es den Bundesländern  gestatten, selbst über die Aufnahme von Asylbewerbern aus dem Ausland zu entscheiden und dafür die nach derzeitiger Rechtslage notwendige Zustimmung des Bundesinnenministers abzuschaffen. Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) verwies im Bundesrat darauf, daß durch solche Landesaufnahmeprogramme Asylbewerber in Deutschland ungleich behandelt würden. Denn während bei Landesprogrammen von vornherein der Schutzstatus zugestanden werde, müßten Ausländer, die über ein Aufnahmeprogramm des Bundes einreisen dürften, ein ergebnisoffenes Asylverfahren durchlaufen. Dadurch könne der Eindruck entstehen, „daß wir uns nicht an geltendes europäisches Recht halten“.

Auch im Bundestag scheiterte in der vergangenen Woche ein entsprechender Versuch, die Asylpolitik vom Bund auf die Länder zu übertragen. Die Grünen hatten in einem Antrag gefordert, „die Blockade gegen die hohe Aufnahmebereitschaft aus den Bundesländern und Kommunen“ aufzugeben. Zusätzlich zu einem Bundesaufnahmeprogramm müsse „den Ländern und Kommunen, die dazu bereit sind, das Handeln“ ermöglicht werden, hieß es in einem Antrag, der zugleich die Evakuierung aller Menschen aus dem Lager auf Lesbos forderte. Dabei soll die Bundesregierung „unter Berücksichtigung der besonderen Verantwortung innerhalb der EU-Ratspräsidentschaft als Vorbild für eine humane und geordnete Asylpolitik vorangehen“.

Die Befürworter einer möglichst großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria verweisen immer wieder auf Umfragen, nach denen angeblich die Mehrheit der Deutschen für eine Aufnahme sei. Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt indes ein etwas differenzierteres Bild. So sind laut des Deutschland-Trends im ARD-Morgenmagazin vom Ende vergangener Woche vier von zehn Wahlberechtigten (43 Prozent) der Ansicht, daß Deutschland auf jeden Fall Flüchtlinge aus Moria aufnehmen sollte. Aus diesen Zahlen kann allerdings nicht herausgelesen werden, daß diese Aufnahmebereitschaft sich auf alle Migranten auf Lesbos erstreckt. Zudem sind 44 Prozent der Befragten der Ansicht, Flüchtlinge aus dem zerstörten Lager Moria sollten nur unter der Bedingung aufgenommen werden, daß sich die EU-Staaten auf eine europaweite Verteilung der Hilfssuchenden einigen. Prinzipiell gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria ist jeder zehnte.