© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Analysten und Leerverkäufer sind eine ernstzunehmende Größe
Wahre Saubermänner
Thomas Kirchner

Leerverkäufer verbuchen weitere Erfolge beim Aufdecken mutmaßlicher Betrugsfälle. Ihr Geschäft beruht auf dem Verkauf von Aktien, die sie für überbewertet halten und die sie nicht besitzen, sondern sich leihen müssen, um sie billiger wieder aufzukaufen, sobald die Kurse gefallen sind. Nachdem der Wirecard-Fall durch akribische Recherchen von Leerverkäufern und Financial Times-Journalisten aufgedeckt worden war (JF 28/20), stehen jetzt zwei weitere Börsenstars in der Kritik.

Bei Nikola, dem Elektro-Lkw-Startup aus Arizona, führte ein Bericht von Hindenburg Research am 10. September nicht nur zu einem Kurssturz der Aktie, sondern auch zum Abtritt des Milliardärs, Gründers und Aufsichtsratchefs Trevor Milton aus Utah. Angesichts des Marktwerts von 20 Milliarden Dollar könnten die Verluste der Anleger das Ausmaß von Wirecard übertreffen, sollten die Vorwürfe zum Entwicklungsfortschritt des Fahrzeugkonzepts stichhaltig sein.

In Deutschland ist der im MDax notierte Finanzdienstleister Grenke ins Visier von Leerverkäufern geraten: Um mehr als die Hälfte brach der Aktienkurs Mitte September ein, was einem Wertverlust von einer Milliarde Euro entsprach. Es trifft nun eine „saubere“ Vorzeigefima aus der zweiten Börsen-Liga, die 2019 Wacker Chemie (23 Produktionsstätten, Kunden in hundert Ländern) in den SDax verdrängte. Wie bei Nikola mußte auch hier Gründer Wolfgang Grenke den Aufsichtsratsvorsitz niederlegen. Pikant ist der Leerverkäufer: Das Analysehaus Viceroy Research von Fraser Perring hatte bereits bei Wirecard auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen – und erhebt gegen die Grenke AG ähnliche Vorwürfe.

Liquide Mittel sollen nicht existieren oder „fehlen“. Aktiva seien überbewertet, und Wertberichtigungen seien auffällig niedrig. Die Grenke Bank AG könnte wegen Geldwäschevorwürfen ihre Lizenz verlieren, was aber derzeit kein deutscher Einzelfall ist. Kleine Kunden würden über den Tisch gezogen. Ein kompliziertes Unternehmensgeflecht und häufige Firmenkäufe rund um die Welt dienten angeblich der Verschleierung der Machenschaften. Die Grenke AG komme ohne Finanzvorstand aus und habe hohe Fluktuation im Aufsichtsrat.

2018 hatte die Staatsanwaltschaft München noch einen Strafbefehl wegen Marktmanipulation gegen Perring erlassen, nachdem er Betrugsvorwürfe gegen Wirecard erhoben hatte. Perring und ein „Komplize“ zahlten zur Einstellung des Verfahrens je eine fünfstellige Geldauflage. Bei Grenke sind die Behörden vorsichtiger: Zwar ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim „in alle Richtungen,“ läßt also die Tür offen für Ermittlungen auch gegen Perring. Doch die Finanzaufsicht BaFin kündigte eine Untersuchung an. Die Wahrnehmung der Leerverkäufer ändert sich – von skrupellosen Spekulanten, die bestraft werden müssen, zu ernstzunehmenden Analysten.