© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Ohne eurozentrische Vorurteile auf den Islam blicken
Homoerotik relativiert Homophobie
(wm)

Auf dem neuesten Forschungsstand der Molekularbiologie befindet sich der Münsteraner Orientalist Thomas Bauer nicht gerade, wenn er die „Anthropologie“ des gegenwärtig vielfach als „Rassisten“ denunzierten Immanuel Kant (1724–1804) als „inakzeptabel“ einstuft (Hohe Luft, 6/2020). Trotzdem möchte er die gegen den Philosophen wütenden „Denkmalstürzer“ nicht verteidigen, da sie jenen „Aufklärer schlechthin“ vom Sockel stoßen wollen, dem sie ihr eigenes „fortschrittliches“ Bewußtsein verdankten. Somit handeln diese „Antirassisten“ im Widerspruch zu ihrer Gleichheitsideologie, die im universalistischen Humanismus Kants wurzelt, der dem Fortschreiten der Menschheit das Ziel friedlicher Koexistenz gleichberechtigter Kulturen vorgibt. Für Bauer ist daher die Agitation gegen Kants „Rassismus“ nur ein Nebenkriegsschauplatz des laufenden Kulturkampfes. Lohnender sei es, den rationalistischen Fortschrittsglauben als „eurozentrisches Vorurteil“ zu destruieren. Man müsse daher den „rassistisch-evolutiven Kern“ westlichen Fortschrittsdenkens zerstören und lernen, in einer Welt der Widersprüche zu leben. Kants menschheitsübergreifende Humanität werde es jedenfalls nicht geben. Von dieser neuen Wahrnehmung, die für Bauer aber nicht mit der Geltung „universeller Menschenrechte“ kollidieren soll, könnte der Umgang mit dem Islam profitieren. Wende sich doch der westliche Blick dann von der als „rückschrittlich“ geziehenen Homophobie islamischer Gesellschaften zur Wertschätzung einer Literatur, die in arabischer, persischer und türkisch-osmanischer Sprache „die großartigste homoerotische Poesie hervorbrachte“. 


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