© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Im Kampf um Gamer
Linke und Rechte entwickeln Videospiele
Hermann Rössler

Was ist bloß mit Leon los? In seinem Zimmer liegt ein Buch über den „Großen Austausch“ herum. An seinen Wänden kleben politische Sticker, in der Musikplaylist auf seinem PC finden sich Lieder mit martialischen Namen, und über seinem Bett hängt eine Deutschlandfahne. Die Vermutung liegt nahe: Leon rutscht ins rechtsextreme Milieu ab!

„Leons Identität“, so heißt ein Computerspiel, das das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen mit dem Verfassungsschutz des Landes vergangenen Monat veröffentlichte. Daß linke Ideologen und Journalisten eine Diversifizierung von PC- und Konsolenspielen im Sinne des Gender-Mainstreamings einfordern (JF 37/19), ist nicht verwunderlich. Galten Videospiele und die Gamer-Communities doch lange als Männerdomäne ohne großen Hang zu politischer Korrektheit. Daß aber ein Landesinnenministerium und der Verfassungsschutz ein Spiel zur politischen Erziehung von Jugendlichen mit 225.000 Euro Steuergeldern finanzieren ist ein Novum und zeigt endgültig, auch in dieser Branche dient das Mittel immer mehr dem politischen Zweck. „Leons Identität“ ist mit Erklärungen versehen, die vor rechten Organisationen wie der Identitären Bewegung (IB) und Publikationen wie dem Arcadi-Jugendmagazin warnen.

Computerspiele sind Teil des Kulturkampfes

Längst gibt es nach bewährtem Muster linke Initiativen wie „Keinen Pixel den Faschisten“, die den Kulturkampf auf dem Gebiet der Videospiele führen und „ein Gegengewicht zum toxischen Teil der Computerspielszene bilden“ wollen. Und die Szene reagiert: Mit „Through the Darkest of Times“ haben das Berliner Studio Paintbucket Games, das Entwicklerkollektiv Saftladen und der Publisher HandyGames ein dezidiert antifaschistisches Spiel entworfen. Rückendeckung erhalten Stimmen wie keinenpixeldenfaschisten.de von linksliberalen Medien. So schrieb die New York Times, Computerspiele bildeten einen Nährboden für weiße Nationalisten, und der Guardian warnte, waffenlastige Spiele begünstigten den Aufstieg rechter Bewegungen.

Rundfunkgebühren sei Dank, entwickelt auch das „Funk“-Format „Browser Ballett“ immer wieder Computerspiele mit Haltung wie das Jump ‘n’ Run-Game „Corona World“, das spielerisch die Corona-Regeln einprägen soll. Neuester Streich des Jugendangebots von ARD und ZDF ist das Spiel „Reichstags Defender“, in dem man mit einem Polizisten in Anspielung auf den angeblichen „Reichstagssturm“ Ende August Menschen mit Reichsflaggen und Deutschlandfahnen die Reichstagstreppen hinuntertreten kann. Gewaltverherrlichung? Nein, die Bilder des „Sturms auf den Reichstag“ hätten „viele Menschen schockiert und eine gewisse Ohnmacht spüren lassen“, betonen die Verantwortlichen auf JF-Anfrage. „Dieser wollen wir mit dem Spiel Einhalt gebieten“, und „diesen unschönen Szenen, die sich vor diesem historischen Gebäude abspielten, die Schwere“ nehmen.

Versuche der kulturellen Vereinnahmung bleiben jedoch nicht unbeantwortet. Mit „Heimat Defender: Rebellion“ veröffentlichten „Kvltgames“ und die Initiative „Ein Prozent“ vergangene Woche „das erste patriotische Videospiel“. Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Der Kulturwissenschaftler Christian Huberts forderte auf Twitter dazu auf, das Spiel auf der Vertriebsplattform Steam zu melden, auf der es zur Verfügung gestellt werden soll. Die Frankfurter Rundschau meint, „Heimat Defender“ verknüpfe „rechtsextreme Propaganda mit Gewaltphantasien, vermeintlicher Selbstermächtigung und Personenkult“. Daß dies nicht ungefährlich sei, hätten der Anschlag in Christchurch und die Bluttat von Hanau gezeigt. 

Steam selbst hält sich bislang zurück. Die Webseite itch.io, die kleinere Games vertreibt, löschte die Downloadfunktion jedoch bereits wieder. Auf der Homepage heimat-defender.de steht das Spiel aber weiterhin zum Download bereit. Vorrangig entwickelt wurde das Spiel von dem erfahrenen Programmierer und Anhänger der IB Österreich Roland Moritz, der dem Zusammenschluß „Kvltgames“ als Teil des Künstlerkollektivs „Kvltgang“ angehört. Volker Zierke, der bei „Ein Prozent“ für das Spiel mitverantwortlich war, zeigt sich im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT zuversichtlich, „daß sich die Liebe, das technische Können und das Herzblut, das in die Entwicklung geflossen ist, bei denjenigen auszahlt, die ein gutes Spiel von einem schlechten unterscheiden“ können.

„Heimat Defender: Rebellion“ ist ein klassisches 2D Jump ‘n’ Run-Game im futuristischen Retro-Stil der achtziger Jahre. Unterlegt mit Synthwave-Musik erzeugt es zusammen mit dem neonfarbenen Hintergrund eine unwirkliche, doch eindringliche Kulisse. Die Musik produzierte „RetroRebel“, der ebenfalls der „Kvltgang“ angehört. Der Bezug auf die achtziger Jahre ist kein Zufall, setzt das „Heimat Defender“-Universum, zu dem auch ein Youtube-Kanal gehört (JF 38/20), schließlich in einer dystopischen Zukunft im Jahr 2084 an – 100 Jahre nach der von George Orwell erdachten Handlung in seinem Roman „1984“. 

In der Geschichte hat die Globohomo Corporation die Weltmacht übernommen. Von dem globalen Großkonzern programmierte Non-Player-Characters, kurz NPC, streifen konsumbetäubt und willenlos durch verwahrloste Antifa-Areas in Neo-Connewitz oder Halleipzig und trinken „Torben&Sören-Sojamilch“. In No-go-Areas treiben Mutanten, mißlungene Experimente der Regierung, ihr Unwesen. Diese Bezirke sind von der Regierung aufgegeben worden und durch Schußanlagen abgesichert. In der Gated-Area leben die Reichen. Auf einer Hauswand steht: „Genug von ethnischem Chaos und dem Zorn der europäischen Arbeiterklasse? Komm in die Gated Area!“ Möglich ist das aber nur systemtreuen Bürgern. NPC ist zudem eine Anspielung auf ein rechtes Meme, mit dem heutige Linke als ahnungslose, manipulierte Handlanger einer Ideologie globaler Eliten bezeichnet werden.

Widerstand gegen das Globohomo-System leistet nur eine kleine Gruppe, bestehend aus bekannten, karikierten Akteuren der neurechten Szene. Der Kopf der österreichischen Identitären, Martin Sellner, verschießt Laserstrahlen mit seiner Sonnenbrille. Der Youtuber Outdoor Illner schwebt mit seiner Kopfbedeckung über seine Gegner hinweg und läßt Bierflaschen fallen. Der Youtuber und Hobby-Imker Alex Malenki schleudert Äxte um sich und wird von einem Bienenschwarm beschützt. „Der dunkle Ritter“, alias Antaios-Verleger Götz Kubitschek, ist mit seinem Antai­os-Schutzschild so gut wie unbesiegbar. Den Titel als „dunkler Ritter“ hat Kubitschek dem Spiegel zu verdanken, der ihn im Dezember 2016 als solchen betitelte. 

Humoristische Persiflage

Mit Sellner, Illner, Malenki und dem „dunklen Ritter“ springt und schießt der Spieler sich durch die Levels und trifft neben den NPC auf Feinde wie den Imperator Memel oder Dr. Zoon. Daß die Gegner Außenminister Heiko Maas (SPD), dem ZDF-Komödianten Oliver Welke oder dem Vorsitzenden des Zentrums für politische Schönheit, Philipp Ruch, ähneln, ist dabei reiner Zufall, versichern die Entwickler des Spiels. Zwischen den Kapiteln sprechen die Macher den Spieler direkt an, indem sie ihn beispielsweise auffordern, seine Zeit nicht auf „Rechts­twitter“ (JF 21/20) zu vergeuden, sondern lokal „für die Heimat“ aktiv zu werden. „Heimat Defender“ ist eine humoristisch zugespitzte Persiflage real existierender Gesellschaftsprobleme, aber auch des neurechten Milieus. Es werden Computer- und Jugendsprache sowie Schlüsselwörter verwendet, die dem jungen Nutzer bekannt sind, der die Internetarbeit rechter Akteure verfolgt. Dem Kenntnislosen wird jedoch auch ein einfacher Einstieg gewährt, indem beispielsweise eingeblendete Bücher Anreiz geben, sich näher mit politischer und gesellschaftlicher Theorie zu befassen.

Das Spiel sei „nicht gerade politisch subtil“, sagt Zierke der JF. Dennoch: „Ein Spiel nur als ‘Werbegag’, kurzen Aufreger oder billige Propaganda-‘Waffe’ zu entwickeln, widerspräche seinem (‘Kvltgames’) und unserem eigenen Anspruch.“ Jedenfalls sei „Heimat Defender“ erst der Startschuß der „patriotischen Spieleentwicklung“.