© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/20 / 25. September 2020

Corona als Chance zum radikalen Mentalitätswechsel
Askese-Tips vom Bionade-Bürger
(dg)

Waffentechnisch gesprochen ist das Geschichtsmärchen, dem zufolge der Reichtum der Industrieländer auf der jahrhundertelangen Ausbeutung des globalen Südens beruhe, die Cruise Missile postkolonialer Erpresser. Sie einzusetzen ist darum auch für den linkslibertären Publizisten Albrecht von Lucke Ehrensache. „Seit der Kolonialzeit profitiert der globale Norden von den ungleichen internationalen Handelsbeziehungen, den terms of trade: Der Süden liefert billige Rohstoffe und kauft teure Industrieprodukte.“ Die Corona-Pandemie biete nun die Chance, mit solchen neokolonialen Zuständen aufzuräumen und, den aktuellen Rezepten des Mode-Politologen Ivan Krastev gehorchend, dem „globalen Süden endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“ (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 9/2020). Doch wollen Krastev und von Lucke den neoliberalen Bären der Neuen Weltordnung waschen, ohne ihn naß zu machen. Nicht dessen kapitalistische Produktionsbedingungen seien also zu ändern, sondern die im 20. Jahrhundert mittels „radikaler Beschleunigung“ des Wirtschaftens erzeugten „Mentalitäten“. Corona, so fordert der vollversorgte linksgrüne Bionade-Bürger, sollte daher helfen, die Ära permanenter Mobilisierung zu verlassen, dem „ressourcenverschlingenden Konsumverhalten“ zu entsagen und materiellen Wohlstand gegen freie Zeit einzutauschen. 


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